Yoichi Okamoto (5. Juli 1915 – 24. April 1985), ein japanisch-amerikanischer Fotograf, hinterließ ein faszinierendes fotografisches Erbe, das einen einzigartigen Blick auf das Nachkriegsösterreich bietet. Von 1948 bis 1954 leitete er die Fotoabteilung des amerikanischen Informationsdienstes USIS in Österreich.
Yoichi Okamoto wurde in Yonkers, New York, geboren und verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Japan (sein Vater, Chobun Yonezo Okamoto, kam 1904 in die USA und brachte es als Exporteur, Buchverleger und Immobilienhändler zu einigem Wohlstand). Nach der Rückkehr aus Japan machte sich Yoichi als erfolgreicher Amateurzauberer einen Namen. In den 30er Jahren kehrten die Eltern Yonezo und Shina nach Japan zurück und ließen sich etwas später scheiden. Beide zogen dann wieder getrennt zurück in die USA. Yoichi, der in Amerika geblieben war, Yoichi ließ sich in Scarsdale nieder. Dort besuchte die Roosevelt High School und danach die Colgate University. Dort wurde er Chefredakteur der Studentenzeitung. Er war als Kostümbildner tätig und schrieb für die Studentenzeitung The Banter eine Kolumne über Herrenmode.
An der Universität begann auch seine Beschäftigung mit Fotografie, möglicherweise unter Einfluss seines umtriebigen Vaters, der in Japan unter anderem auch ein Fotogeschäft betrieb. In Japan hatte sich die Fotografie schon früh besonderer Beliebtheit erfreut, und es ist kein Zufall, dass japanische Marken wie Olympus, Nikon, Fujifilm oder Canon, die ihre Wurzeln in der Zwischenkriegszeit haben, im 20. Jahrhundert eine dominierende Stellung einnahmen. In den USA betrieben japanische Einwanderer zahlreiche wichtige und renommierte Fotostudios.
Nach seinem Universitätsabschluss zog er nach Syrakus, arbeitete als Fotograf in Nachtclubs und vertiefte sein Wissen über Fototechnik. 1939 wurde er als Fotograf für die Zeitung Syracuse Post-Standard eingestellt und verbrachte drei Jahre in dieser Position.
Der Eintritt in die US-Armee im Januar 1942 markierte einen Wendepunkt für Okamoto. Als erster Nisei-Rekrut im Raum New York musste er anfangs aufgrund seiner japanischen Abstammung um Akzeptanz kämpfen. (Nisei heißt auf japanisch „zweite Generation“ und bezeichnet die in einem anderen Land geborenen Kinder japanischer Einwanderer). Nach seiner Ausbildung an der Quartermaster School in Camp Lee, Virginia, diente er im Signal Corps der US-Armee. 1944 berichtete er als Kriegsberichterstatter aus Europa und wurde im nächsten Jahr als persönlicher Fotograf von General Mark Clark nach Wien geschickt, wo er die amerikanische Besatzungszone dokumentierte.
Okamoto wurde durch seine Fotos, die den Wiederaufbau von Wien nach dem Krieg dokumentierten, zu einer lokalen Berühmtheit. Seine Porträts von Künstlern wurden in der Plakatkampagne „Schöpferisches Österreich“ präsentiert.
Die Fotografie war damals auch eine Waffe im Kalten Krieg – sicher keine schwere Artillerie, aber durchaus ein schmerzhaftes Bajonett. Als die US-Regierung 1952 im Zeichen einer „demokratischen Kulturoffensive“ im Herbst 1952 an der Wiener Volksoper eine „Porgy and Bess“-Inszenierung mit William Warfield und Leontyne Price organisierte, machte Okamoto beeindruckende Bühnenfotos. Paradox – während in den USA schwarze Künstler nach wie vor mit enormen Schwierigkeiten kämpften (bekannt die Anekdote, dass Samy Davis Jr. noch 1959 erst nach einer massiven Intervention seines Bühnenpartners Frank Sinatra im Hotel Sands in Las Vegas ein Zimmer bekam, obwohl die beiden dort gemeinsam auftraten!), schickte man sie bewusst auf Tournee, um Imagewerbung für das liberale Amerika zu machen.
In der renommierten Galerie Würthle fand von 9. 11.-31. August 1954 eine Okamoto-Ausstellung statt. Die Österreichische Photographische Gesellschaft ehrte ihn für seine Beiträge zur Förderung der Fotografie.
1954 kehrte Okamoto in die USA zurück und wurde Leiter der Abteilung für visuelle Materialien der US Information Agency. Seine Frau Paula, die als Rundfunksprecherin für die Voice of America arbeitete, begleitete ihn. Edward Steichen wählte Okamots Fotografie des Tänzers Harald Kreutzberg für die weltweit bekannte Ausstellung „The Family of Man“ im Museum of Modern Art aus. In Wien war die Ausstellung im Künstlerhaus von 30. März bis 28. April 28 1957 zu sehen .Okamotos fotografisches Werk gewann an Bekanntheit, und er erhielt 1958 eine Einzelausstellung im Arts Club in Washington.
Die Karriere von Yoichi Okamoto erlebte 1961 eine dramatische Wende, als er als persönlicher Fotograf Vizepräsident Lyndon B. Johnson auf einer offiziellen Tour durch Berlin begleitete. Nach dem Bau der Berliner Mauer wurde er Johnsons offizieller Fotograf im Weißen Haus. Okamoto hatte uneingeschränkten Zugang zum Präsidenten und dokumentierte die Höhepunkte der Johnson-Regierung. Seine Fotos, streng geheim und geschätzte 675.000 Stück, machen die Johnson-Ära zur visuell am besten dokumentierten Präsidentschaft.
Nach seiner Zeit im Weißen Haus eröffnete Okamoto ein Fotofinishing-Unternehmen in Washington. Als freiberuflicher Fotograf arbeitete er weiter an Projekten wie Porträts des FBI-Direktors J. Edgar Hoover und einer Dokumentation des Republikanischen Nationalkonvents 1980.
1985 schied Okamoto durch eigene Hand aus dem Leben. Das Buch „Okamoto’s Vienna: The City Since the Fifties“ wurde posthum veröffentlicht und zeigt seine Fotos vom Nachkriegs-Österreich.
Yoichi Okamoto hat nicht nur Standards für Fotografen des Weißen Hauses gesetzt, sondern auch die Geschichte der Johnson-Regierung auf eine fesselnde Weise dokumentiert. Seine Porträts, weit entfernt von politischer Propaganda, sind Kunstwerke und historische Schätze, die die Belastungen des Präsidentenamtes während der turbulenten Zeiten, insbesondere des Vietnamkriegs, einfangen. Innerhalb der reichen Geschichte der japanisch-amerikanischen Fotografie verdient Okamotos Arbeit zweifellos weitere Aufmerksamkeit und Untersuchung.
„Im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek können Besucher*innen eine fotografische Zeitreise in diese Nachkriegszeit unternehmen. Die Ausstellung präsentiert die visuelle Geschichte Österreichs aus den Anfängen der 2. Republik. Ein besonderer Coup gelang der Österreichischen Nationalbibliothek, als sie 2019 den als verschollen gegoltenen Nachlass von Yoichi Okamoto erwarb. Diese Sammlung umfasst über 22.000 Negative und 900 Originalprints und zeigt nicht nur die Nachkriegszeit, sondern gibt auch Einblicke in die österreichisch-amerikanischen Beziehungen nach 1945.“ (Zitat aus dem Pressetext zur Ausstellung)
Ein Besuch der ausgesprochen liebevoll kuratierten Ausstellung ist allein schon wegen der Atmosphäre des Prunksaals der ÖNB zu empfehlen. Aber Vorsicht bei Minusgraden: Da sollte man Mäntel oder Jacken anbehalten, sonst wird es kühl!
Kurt Lhotzky