Aus persönlichen Gründen hatte ich in den letzten Wochen nicht ausreichend Muße, diesen Essay weiterzuschreiben. Jetzt geht es aber weiter – hier der vorletzte Teil meines Aufsatzes. Wie immer bedauere ich, dass ich aus Copyright-Gründen auf illustrative Fotobeispiele verzichten muss.

Die “Demokratisierung der Fotografie” ist ein Faktum, das eine Reihe neuer Probleme für die berufsmäßigen Fotograf_innen, egal in welcher Sparte, aufgeworfen hat. Täglich werden Millionen Digitalfotos in soziale Medien gepostet; auch in kolonialen und halbkolonialen Ländern haben – wenn auch durch die materiellen Bedingungen stark eingeschränkt – immer mehr Menschen die Möglichkeit, digital zu fotografieren (Stichwort: Handycam). In den “reichen” Ländern machen sich Bildredakteure großer Medienkonzerne diese Entwicklung zunutze, indem sie die Leser_innen auffordern, als “Leserreporter” Fotos zu mailen, die dann um einen Bruchteil dessen, was das Bild von Berufsfotograf_innen kosten würde, angekauft und veröffentlicht werden.

Auch bei der Kriegs- und Krisenfotografie sollte damit die Verbreitung von “anderen” Bildern möglich sein. Allerdings: in „konventionellen” Kriegen werden in der Regel Fotos, die von einfachen Soldaten gemacht werden, einer Zensur oder zumindest Kontrolle unterworfen; außerdem ist es gerade in Kriegs- und Konfliktgebieten, vor allem in Afrika und Asien, nicht unbedingt gesichert, dass überhaupt eine Internetverbindung zur Übertragung von Bildern vorhanden ist. Und dann gibt es natürlich noch den Filter am Ende der Pipeline: bei den Massenmedien, die Bilder veröffentlichen.

Die Arbeit professioneller Fotoreporter_innen unterliegt bestimmten Regeln. Dazu gehört etwa, dass Bilder nicht “manipuliert” sein dürfen. Dahinter steckt der “Objektivitätsanspruch” der bürgerlichen Medienwelt. “Manipuliert” – das bedeutet  nicht nur, dass keine Retuschen vorgenommen werden dürfen, es heißt auch, dass die abgebildeten Ereignisse nicht inszeniert worden sein dürfen.

Weiter oben habe ich anhand eines Beispiels aus dem Irakkrieg gezeigt, wie sehr eingebettete Reporter dadurch manipuliert werden können und dadurch selber zu Manipulatoren werden, weil man sie in bestimmte Kriegssituationen versetzt, die für sie real sind, in Wirklichkeit aber im gesamten Gefüge der Kämpfe eine untergeordnete Rolle spielen können. Oder, brutal ausgedrückt: Was ist, wenn nicht der Fotograf, sondern eine der beteiligten Parteien die Situation inszeniert, die dann als objektive Realität abgelichtet wird?

Fotos können dann als der materielle Beweis für die offiziellen Rechtfertigungsargumente des Krieges durch eine Seite dienen.  Die Kriege im Irak, in Afghanistan, in Libyen und Syrien sind geradezu Lehrbeispiele dafür, wie durch gut gewählte Bildausschnitte und manipulative Bildunterschriften ein völlig undurchschaubarer Informationswirrwarr entstehen kann, der mehr verschleiert als erklärt (siehe die berühmten Fotos vom Sturz des Saddam-Hussein-Denkmals in Bagdad nach dem Einmarsch der US-Truppen).

Einen anderen Zugang eröffnen die Fotos deklariert parteiischer Fotografinnen und Fotografen. Ein Musterbeispiel dafür sind die Aufnahmen von Gerda Taro und Robert Capa aus der spanischen Revolution. Als politische Menschen, die in ihren eigenen Herkunftsländern Ungarn und Deutschland den Aufstieg des Faschismus erlebten und vor der braunen Flut nach Frankreich flüchteten, sahen sie ihre Aufgabe darin, mit ihren Fotos international den Kampf der spanischen Werktätigen gegen den Generalsputsch propagandistisch zu unterstützen. Wenn man die Fotos dieser beiden stellvertretend für andere, auch anonyme, Reportagen über die republikanische Seite, betrachtet, sieht man sehr unterschiedliche Stilmittel, mit denen sie dieses propagandistische Ziel erreichen wollten. Da gibt es die “traditionellen” Kriegsberichtsfotos, die sich aber dadurch von anderen Fotos aus Kriegssituationen unterscheiden, weil sie Kombattanten zeigen, die bei nicht bereits politisierten Betrachterinnen und Betrachtern Fragen aufwerfen: Was sind das für seltsame Truppen, die keine einheitlichen Uniformen haben? (Weil es sich um oft spontan entstandene Milizen handelt). Wieso sieht man so viele bewaffnete Frauen? (Weil das halt revolutionäre Truppen sind, in denen Frauen und Männer gleichberechtigt kämpfen)siehe speziell dazu das Kapitel “Miliciennes à l’entraînement” in Bernard Lebrun & Michel Lefebvre, Robert Capa Traces d’une légende (Paris, 2011)(S. 90).

Speziell von Gerda Taro gibt es zahlreiche Fotos von Frauen in der Revolution – als Kämpferinnen, als Bäuerinnen, Arbeiterinnen, aber auch als Opfer des faschistischen Terrors – auf der Flucht, verwundet …

George Orwell beschreibt in “Mein Katalonien” sehr gut, was ihn (und andere Reporter) dazu bewogen hat, im Spanischen Bürgerkrieg Partei zu ergreifen. Berichterstatter machen sich damit natürlich angreifbar. Sie werden als einseitige Propagandisten von jenen abgelehnt, die ebenfalls einseitig sind – nur eben auf der anderen Seite.

Was hat es mit der angeblichen Objektivität der Fotoreporter auf sich? Waren die Fotos von Lee Miller, die sie nach der Befreiung Dachaus fotografiert hat, “objektiv”? Konnten sie “objektiv” sein? Das gleiche trifft auf die Reportagen von Margaret Bourke-White zu. Margaret Bourke-White, Deutschland, April 1945 (München, 1979)
Ich behaupte, dass eine “objektive” Kriegsfotografie nicht möglich ist. Bewusst oder unbewusst ergreift jeder Fotograf, jede Fotografin Partei. Es liegt am Betrachter, an der Betrachterin, ob sie imstande ist, diese Parteilichkeit zu lesen, zu verstehen, in das eigene Weltbild einzupassen.

Parteilichkeit führt oft, aber nicht immer, zu einer eigenen Ästhetik. Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann veröffentlichte 1933 seinen Bildband Der Triumph des Willens – Kampf und Aufstieg Adolf Hitlers und seiner Bewegung, der eine Glorifizierung des Aufstiegs der NSDAP war. Wenn man seine Bilder von Aufmärschen der SA in der “Kampfzeit” mit zeitgenössischen Pressefotos vergleicht, zeigt sich schnell, was gemeint ist. Das “Heldische”, das sich in einer bestimmten Bildsprache ausdrückt (Gesichter leicht von unten aus der Schräge aufgenommen, die Augen der Porträtierten starr nach vorne oben, im Visier ein unsichtbares Ziel) ist die visuelle Fortführung einer Ästhetik, die wir auf Kriegerdenkmälern des 19. Jahrhunderts und besonders aus der Zeit des 1, Weltkrieges kennen. Die Fotos von Wahlkampfaktionen der SA und Straßenschlachten mit proletarischen Gegners zeigen stattdessen die Gesichter wütender gewaltbereiter Kleinbürger und Lumpenproletarier.

Der letzte Teil dieses Aufsatzes wird sich mit der Verantwortung des kritischen Medienkonsumenten beschäftigen.

2 Kommentare zu „Was wir aus Kriegsfotos lernen können – und was nicht (4. Teil)“

  1. Danke schön für deine Fortsetzung.

    Mir wird beim Lesen deiner Gedanken meine eigene Erwartungshaltung an (Kriegs)fotografien und an Kriegsfotograf*innen immer klarer. Die Fotografie sollte das Geschehene wirklichkeitsnah wiedergeben. Die Bewertung der Fotografie, ihre Nutzung, die Frage nach Parteilichkeit und gesellschaftlicher Relevanz lässt sich nicht und in keinem Fall aus der Fotografie allein erschließen. Hier steht immer die Frage Who’s side are you on im Raum. Das veröffentlichende Medium, die Rolle des Fotografen, die gesellschaftliche Sichtweise auf die militärische Auseinanderetzung, auf Krieg als Mittel der Auseinandersetzung, die textliche Einbindung und die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse (z.B. Friedensbewegung), bestimmen die Interpretation eines Bildes.

    Die Frage nach Parteilichkeit scheint mir tatsächlich sehr schwierig. Was ist eigentlich gemeint? Partei für die Seite der frankistischen Truppen oder Partei für die republikanischen Truppen ergreifen? Oder ist eine generelle Antikriegshaltung angebracht?

    Was kann ich von Kriegsfotograf*innen erwarten? Eine besondere Spezies Mensch, die mal so und mal anders agiert. Eine Spezies, deren Geld, Wertschätzung und Sicherheit häufig von einer speziellen Seite in einem Konflikt abhängt. Viel ist es, wenn sie die eigenen Bilder mit soviel Tatsachenkontext versehen, wie möglich. Viel ist es, wenn öffentliche Reflektion über ihre eigene Rolle stattfindet. Viel ist es, wenn sie eine eigene Rolle in der Berichterstattung einnehmen.

    Fotograf*innen und Fotografien alleine schaffen keine Antikriegshaltung. So gerne ich (als Fotograf) Fotograf*innen oder Fotografien auch eine übermächtige Wirksamkeit zuschreiben möchte. Damit werde ich zumindest teilweise auch anfällig für „bürgerliche“ Interpretationen. Anja Niedringhaus habe ich irgendwie auch für eine Anti-Kriegsfotografin gehalten.

    Grüße aus dem sonnigen Hamburg

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    1. Kurt Lhotzky Autor

      Jetzt geht es wirklich ans Eingemachte und ich ringe gerade mit dem Schlusskapitel meines Essays. Ich glaube, dass Du exakt den Punkt getroffen hast: Letzten Endes ist es der Betrachter, der aus einem Bild „herausholen“ kann, was für ihn wichtig ist. Und ich glaube nicht, dass Bilder „für sich“ sprechen – sie brauchen immer den Kontext der Bildunterschrift, der Bilderklärung.
      Kennst Du übrigens den Film „Under Fire“? Den kann ich wirklich zum Thema „Objektivität“ sehr empehlen! Hier die Infos auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Under_Fire
      Liebe Grüße
      Kurt

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