Die Methode des embedding war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die amerikanische Armee durch die Berichterstattung, auch in den amerikanischen Medien, über den Vietnamkrieg traumatisiert war. Es ist natürlich überzogen, wenn amerikanische Politiker und Militärs behaupten, die USA hätten den Krieg dort durch Fotos und Reportagen verloren. Sicher ist aber, dass der propagandistische Anspruch der Verteidigung der “freien Welt” irgendwo in Südostasien durch Bilder von brennenden Kindern oder Massakern an der Zivilbevölkerung leiden musste.
Wie jede moderne Armee seit Beginn des 20 Jahrhunderts hat natürlich auch die amerikanische ihre eigene Presse- und Fotografiedienststelle. Was aber bereits im Ersten Weltkrieg als Problem erkannt wurde, ist im Zeitalter von sozialen Medien und Echtzeit-TV noch deutlicher akzentuiert. Offizielle Berichte und Reportagen einer kriegsführenden Seite werden sofort als Propaganda erkannt, es ist klar, dass sie einer Zensur unterliegen, und damit leidet ihre Glaubwürdigkeit und Attraktivität ganz gewaltig.
Es wäre blauäugig anzunehmen, dass selbst kriegserfahrene Journalist_Innen oder Fotograf-innen “objektiv” bleiben können, wenn sie eine Zeit lang mit der kämpfenden Truppe im Einsatz sind. Auch wenn sie zur Vorbereitung ein minimales Trainingsprogramm absolvieren müssen, sind sie sich trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sehr klar darüber, dass sie im Extremfall ein Schwachpunkt ihrer Einheit sind. Die Soldat_innen, mit denen sie sich in den Einsatz begeben, sind für sie nicht nur Objekte der Berichterstattung, sie schützen gleichzeitig das Leben der Berichterstatter. Die notwendige kritische Distanz kann unter solchen Voraussetzungen deutlich schwinden. Überspitzt könnte man von einer Art medialem Stockholm-Syndrom sprechen.
Bevor ich mich der Frage zuwende, wie objektiv unter diesen Bedingungen die Kriegsberichterstattung sein kann, sei noch ein anderer Aspekt in die Diskussion geworfen. Was verstehen wir heute eigentlich unter Kriegsberichterstattung? In einer durch moderne elektronische Medien und Computersimulationen geprägten Welt wird Kriegsberichterstattung oft als eine spezifische Form von Action-Adventure verstanden.
Wer damals vor dem Fernseher gesessen ist, kann sich sicherlich an die ersten amerikanischen Berichte aus dem Zweiten Golfkrieg im Jänner 1991 erinnern. Die amerikanische Armee gab damals Filmberichte frei, in denen man die Kriegshandlung aus der Perspektive der Raketenschützen in amerikanischen Kampfhubschraubenr mitverfolgen konnte. Im Prinzip hatte das Publikum den Eindruck, dass hier ein Videospiel abläuft, dass sich von einer Simulation nur dadurch unterscheidet, dass tatsächlich reale Ziele vor den Augen der Betrachter verpuffen.
Neben der Botschaft “wir sind die technologisch überlegenen” sollte vor allem nach den grausigen Bildern aus Vietnam eines gezeigt werden: Kriege würden mit chirurgischer Präzision geführt, unschuldige Opfer seien so gut wie ausgeschlossen, und vor allem wären amerikanische Truppen niemals in ernsthafter Gefahr.
Der moderne Krieg wird auf „Action“ reduziert – und Journalisten und Fotografen müssen heutzutage zwangsläufig bei einer der kriegsführenden Partei mit dabei sein, weil sie sonst nie in die Kampfgebiete kämen. Jede Armeeführung will den eingebetteten Journalisten „was bieten“ – daher werden oft bewusst militärische Aktionen gestartet, die Showcharakter haben, um durch „objektive Journalisten“ Erfolge reklamieren zu können.
Vor allem kann der eingebettete Journalist immer nur authentisch über das berichten, wo er (oder sie) dabei ist. Das kann zu fatalen Schieflagen führen, wie man im November 2004 gesehen hat: Damals eroberten US-Truppen unter schweren Opfern in einem aufreibenden Straßenkampf Fallujah, das von Aufständischen gehalten wurde. Fast das gesamte in Baghdad stationierte Pressekorps begleitete unter großen Risiken die US-Einheiten.
Tagelang wurden dramatische Berichte aus Fallujah gedruckt und gesendet, und der heiß erkämpfte Sieg der Amerikaner wurde entsprechend gewürdigt. Weitgehend ignoriert wurde, dass gleichzeitig Rebellen die amerikanische Truppenkonzentration in Fallujah dafür genutzt hatten, die drittgrößte Stadt des Irak, Mosul, unter ihre Kontrolle zu bringen. Da dort keine amerikanischen Truppen stationiert waren gab es auch keine eingebetteten Journalisten, und daher keine Berichte [mfn]eine detaillierte Schilderung findet sich bei [Internetquelle] Patrick Cockburn, Embedded journalism: A distorted view of war, The Independent, https://www.independent.co.uk/news/media/opinion/embedded-journalism-a-distorted-view-of-war-2141072.html, 23.10.2010, abgefragt am 13.5.2019 [/mfn]…
Unterstreichen möchte ich Cockburns Aussage, dass „Kriegsreporter““ (inklusive Fotografinnen und Fotografen), die mit Truppen unterwegs sind, früher oder später Konflikte ausschließlich durch die militärische Brille sehen, d.h. vernachlässigen, dass kriegerische Auseinandersetzungen letzten Endes politisch gelöst werden (müssen).
Armeeführungen und ihre politischen Auftraggeber habe natürlich ein klares Interesse daran, das “unabhängige Berichterstatter” ihre Truppen begleiten. Jede Armee hat ihre eigene Pressestelle und eigene Kriegsberichterstatter. Bei deren Artikeln und Fotos ist es natürlich klar, dass sie eindeutig parteiisch sein müssen. Die Öffnung der Berichterstattung für “unabhängige Berichterstatter” soll den Eindruck erwecken, dass unvoreingenommen und unparteiisch aus einem Krisengebiet berichtet werden kann. Die oben erwähnten Einschränkungen für “embedded journalists” bei Verbänden der US-amerikanischen Armee zeigen aber, dass es natürlich klare, mehr oder minder starke, Zensurmaßnahmen gibt.
Das macht natürlich nicht jeden Bericht eines “embedded journalist” oder einer eingebetteten Fotografin/eines Fotografen unglaubwürdig oder wertlos. Es kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, wenn es gelingt, Bilder an die Weltöffentlichkeit zu bringen, die die Schrecken des Krieges oder Aspekte, die geheim gehalten werden, wie die Misshandlung von Gefangenen oder gar Kriegsverbrechen, zeigen.
Und wieder stellt sich die Frage: Was können wir aus “Kriegsbildern” lernen? Dazu gab es im Jahr 2000 eine bemerkenswerte Kontroverse rund um das Schaffen des wohl berühmtesten lebenden Kriegsfotografen James Nachtwey, der sich selbst in der Oprah-Talkshow als “Anti-Kriegsfotograf” definierte. Der Foto- und Kunstkritiker Richard B. Woodward ritt in der “Village Voice” anlässlich einer Ausstellung der Fotos Nachtwey im Internationalen Zentrum für Fotografie eine scharfe Attacke gegen den Fotografen, die in der Charakterisierung gipfelte: “Nachtwey hat keine Anliegen. Ich bezweifle, dass er irgendetwas über die Hunderte von Leichen in seinen Bildern weiß, außer deren Namen, wenn überhaupt. Er ist der Buchführungs-Engel für die vier apokalyptischen Reiter, der bei Schüssen landet und dann, nach ein oder zwei Wochen, zu einem neuen Blutbad fliegt. Es scheint ihm egal zu sein, wie die Menschen leben, nur wie sie sterben”.[mfn]Internetquelle: Richard B. Woodward, To Hell and Back, Village Voice https://www.villagevoice.com/2000/06/06/to-hell-and-back/ 6.6.2000, abgefragt am 13.5.2019 [/mfn]
Inwieweit diese Kritik ernstzunehmen ist möchte ich im 3. Teil dieses Essays diskutieren.
(Ende des 2. Teils)
Sehr spannend geschrieben. Ich freu mich auf den nächsten Teil.
„Unabhängige“ Fotograf*innen oder Journalisten bilden auch eine Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Helden und der Sehnsucht nach Wahrheit, wenn auch nur für eine spezielle Klientel. Sie haben Namen, sie sind mutig, sie sind dabei, es wirkt authentisch, ihre Bilder werden mit Wahrheit geadelt. Und es kann suggeriert werden, die Berichterstattung sei ziemlich vollständig.
Ein spannendes Interview mit einem Fotografen ist hier
https://freelens.com/fotografie-und-krieg/meine-reisen-sind-immer-auch-der-versuch-krieg-zu-verstehen/