Im Zusammenhang mit einem Blogbeitrag über Anja Niedringhaus wurde durch einen Leserkommentar die Frage aufgeworfen, wie wir den “embedded journalism” und die Arbeit von “eingebetteten” Fotografen in modernen Kriegen beurteilen können oder sollen oder wollen.

Ich wollte mich ursprünglich ausschließlich auf eine Diskussion dieses Themas beschränken. Je mehr ich mich aber damit beschäftigt habe, umso klarer wurde mir, dass eine wesentlich grundlegendere Herangehensweise notwendig ist. Es geht darum, welches Verständnis wir (also jeder Einzelne von uns) von journalistischer Berichterstattung im Allgemeinen haben. Dieses Verständnis beeinflusst auch unser Herangehen an Pressefotos oder Fotoreportagen.

Da es sich hier um ein größeres Projekt handelt, wird dieser Beitrag in mehreren Fortsetzungen erscheinen müssen. Ich werde nach Abschluss der Serie auch eine überarbeitete PDF-Version dieses Textes auf www.complexityinaframe.com zur Verfügung stellen.

Gerade die Berichterstattung aus Konflikt- und Krisenregionen ist ein schönes Beispiel dafür, dass ein Bild keineswegs mehr sagt als tausend Worte. Wenn wir aus Pressefotos tatsächlich etwas lernen wollen, brauchen wir in der Regel mehr Informationen, als sie das Bild alleine vermitteln kann. Wir müssen uns auf einem Einzelbild orientieren können. Um das Bild interpretieren oder vielleicht sogar verstehen zu können müssen wir wissen, was gezeigt wird, unter welchen Umständen und Bedingungen das Foto entstanden ist, und natürlich auch den Ort der Aufnahme.

Die moderne Medienwelt, die mittlerweile sehr verfeinerten Möglichkeiten der Nachbearbeitung von Fotos, die Vertriebswege für professionell genutzte Nachrichtenbilder etc. sollten uns daher nicht hindern, den sehr plausibel klingenden Satz von Roland Barthes “Es-ist-so-gewesen”[mfn] Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Fotografie (Frankfurt/Main, 1980)[/mfn](S.87) über Bord zu werfen. (Wobei der Satz an sich, geht man davon aus, dass keine wie immer geartete Manipulation des Bildes stattgefunden hat, etwa so sinnvoll ist wie die formal-logische Erkenntnis, das A = A. In beiden Fällen ist der praktische Nutzwert zweifelhaft).

Roland Barthes

Gerhard Paul weist in seinem Werk “Das visuelle Zeitalter”[mfn]Gerhard Paul, Das visuelle Zeitalter. Punkt und Pixel (=Visual History: Bilder und Bildpraxen in der Geschichte, Bd. 1, Göttingen, 2016)[/mfn] darauf hin, dass die Kriegsfotografie einer der frühen Anwendungsbereiche der Fotografie gewesen ist[mfn]Paul, Zeitalter, S. 27[/mfn] (S. 27f). Allerdings waren die ersten fotografisch dokumentierten modernen Kriege (der Krimkrieg 1853-1856 und der amerikanische Bürgerkrieg 1860-1865) in der visuellen “Bearbeitung” durch die sperrigen Plattenkameras deutlich beschränkt: “Fast immer wurde das Kriegsgeschehen nur aus der räumlichen Entrücktheit des Lebens in der Etappe und der zeitlichen Entrücktheit der materiellen und menschlichen Überreste der Schlacht abgelichtet”[mfn]Geschichte der Photographie. Von 1839 bis heute, Hg. The George Eastman House Collection (Köln, 2012)[/mfn].

Die meisten Fotografen des amerikanischen Bürgerkriegs waren Zivilisten[mfn]Geschichte der Photographie. Von 1839 bis heute, Hg. The George Eastman House Collection (Köln, 2012)[/mfn] (S. 262). Ebenso wie ihre Kollegen im Krimkrieg könnten wir sie (mit einigen zeitbedingten Abstrichen) durchaus als “embedded photographers” bezeichnen. Rufen wir uns sicherheitshalber die von der US-Armee 2003 kodifizierte Definition ins Gedächtnis:

“Ein eingebetteter Medienvertreter wird definiert als ein Medienvertreter, der über einen längeren Zeitraum – unter Umständen Wochen oder gar Monate – bei einem Truppenteil verbleibt. Die militärischen Führer sorgen für Unterkunft,Verpflegung und ggf. sanitätsdienstliche Betreuung der eingebetteten Medienvertreter im gleichen Maße, wie sie den Angehörigen des Truppenteils gewährt wird. Ferner gewähren sie Zugang zu militärischer Transportkapazität und ggf. fernmeldetechnische Unterstützung beim Absetzen bzw. Übertragen von Medienprodukten”.[mfn]Sandra Dietrich, Embedded Journalism.Ursprünge, Ziele, Merkmale, Probleme und Nutzen von „Embedding“ am Beispiel des Irak-Krieges 2003 (Saarbrücken, 2007)[/mfn] (S. 64)

Auffallend ist ebenfalls eine Gemeinsamkeit zwischen den Fotos aus dem Bürgerkrieg und den zeitgenössischen Aufnahmen kriegerische Auseinandersetzungen, in die US-amerikanische Truppen verwickelt sind. Die Verletzten oder Toten der eigenen Seite werden fast nie abgebildet. Man sieht in der Regel nur die Leichen der getöteten Gegner. Das hatte zwischen 1860 und 1865 nicht unbedingt ideologische, sondern eher kommerzielle Gründe. Die Fotografie erlebte damals einen generellen Aufschwung.

Etliche Fotografen begaben sich daher in die Nähe der kämpfenden Truppen beider Seiten, da viele Soldaten ihren Angehörigen Visitkartenfotos als Gruß und Lebenszeichen zukommen lassen wollten. Wesentlich künstlerischer waren die Porträtfotos der Offiziere und Kommandierenden. Es war ein natürliches Interesse der Fotografen, die potenziellen Auftraggeber nicht dadurch zu vergrätzen, dass man ihnen visuell die eigenen Verluste vor Augen führte.

Typische Visitkartenfotos von Soldaten aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs

2009 wurde dieses Thema in den USA schlagend. Im August dieses Jahres fotografierte die in Afghanistan bei den Marines “eingebettete” Associated Press-Fotografin Julie Jacobson einen tödlich verwundeten Soldaten, als ihn seine Kameraden bergen wollten. In der AP-Bildredaktion gab es Diskussionen darüber, ob man das Bild veröffentlichen solle oder nicht, denn auch für die Veröffentlichung von Fotos von Verletzten oder getöteten amerikanischen Soldaten gibt es Pentagon-Richtlinien. Da weder die Identität noch – anhand der Uniform – die Einheit des getöteten Marines Joshua Bernard auf dem Bild zu erkennen war, entschloss sich AP dazu, das Bild freizugeben.

Die Veröffentlichung spaltete nicht nur die amerikanischen Medien. Der Vater des gefallenen Soldaten protestierte heftig, ihm schloss sich US-Verteidigungsminister Robert Gates an. Demgegenüber argumentierte Associated Press mit einer höchst patriotischen Rechtfertigung: man habe der amerikanischen Bevölkerung nicht vorenthalten wollen, unter welchen dramatischen Bedingungen junge Amerikaner im Ausland für ihr Land kämpften.[mfn]Internetquelle: Gaby Hinsliff, Pictures of dying marine bring war home to America, The Guardian, https://www.theguardian.com/world/2009/sep/06/dying-marine-fury-america-afghanistan, 6.9.2009, abgefragt am 3.5.2019 (stellvertretend für zahlreiche andere Artikel zu diesem Fall).[/mfn]

Screenshot von der Seite des „Guardian“ (im Text erwähnt)

Vielleicht ist gerade dieses Foto eine Bestätigung meiner oben vertretenen These, dass ein Bild für sich allein wenig aussagekräftig ist. Ebenso berechtigt wie die Rechtfertigung von AP für die Veröffentlichung des inkriminierten Fotos wäre etwa die Begründung, man wolle den Wahnsinn der US-amerikanischen Intervention in Afghanistan und seine Folgen der Bevölkerung drastisch ins Bewusstsein rücken.

(Ende des 1. Teils)

2 Kommentare zu „Was wir aus Kriegsfotos lernen können – und was nicht (1. Teil)“

  1. Kurt, Danke schön für deine Blogbeiträge zu diesem Thema. Wir brauchen 1000e und mehr Worte, um zu verstehen, daß Kriegsbilder heute eher der Kriegspropaganda dienen, als daß sie Wahrheit transportieren oder es versuchen,

    Ich meine mich zu erinnern, daß Fotografie zu Zeiten des Vietnamkrieges durchaus eine Antikriegs-Bewegung befördern konnten. Heute, so will mir scheinen, sollen Medien nicht mehr gegen militärische Interessen wirksam werden können, im Gegenteil eher eine wirksame Unterstützung des „guten, berechtigten“ Krieges darstellen, den nationalen und internationalen Diskurs formieren.
    Ich freue mich auf die nächsten Beiträge.

    Ein Gedanke: Viele Soldaten haben heute Smartphones, fertigen teilweise selbst Bilder von ihren eigenen Taten an. Geraten diese in die Öffentlichkeit, das wäre möglicherweise interessant.

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  2. Kurt Lhotzky Autor

    Das ist ja meiner Meinung nach der irrsinnige Widerspruch: Einerseits könnten Fotografie und Internet einen unerhörten „demokratischen boost“ bringen – aber wieder einmal zeigt sich, dass es entscheidend ist, wer diese Kanäle kontrolliert. Wie’s Soldaten geht, die nicht mehr wegschauen können, hat Chelsea Manning drastisch am eigenen Leib erfahren. Das kommt im, ich glaube dritten Teil, meiner Serie zu diesem Thema ausführlicher.
    Danke für den Diskussionsbeitrag!!!

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