Seit November vergangenen Jahres wird die französische Politik durch die Bewegung der „Gelbwesten“ geprägt – einer klassenübergreifenden Protestbewegung gegen staatliche Sparpolitik, Steuererhöhungen, Sozialabbau und die Abgehobenheit der regierenden Kaste des Landes.
Vom ersten Tag an hat die Regierung Macron mit unverhältnismäßigem Gewalteinsatz auf die Proteste reagiert. Am 2. Februar hat der „Acte 12“, also der „12. Akt“ der Proteste stattgefunden, der sich thematisch gegen die Gewaltanwendung durch die Polizei und die wachsende Zahl von teilweise schwer verletzten Demonstranten richtete. Dazu ein kurzer Bericht des Fernsehsender ARTE:
Wesentlich schärfer wird die Situation vom „Fotograf_innenkollektiv LaMeute“ dargestellt. Auf der Facebookseite des Kollektivs findet sich ein Manifest für eine soziale Fotografie, das extrem spannend ist.
Im ersten Teil wird der Frage nachgegangen, welche Mechanismen dazu führen, dass sogar Betroffene die angeblich „objektive“ Berichterstattung großer Medienkonzerne für bare Münze nehmen – in Frankreich z. B. bezüglich Streikbewegungen – , die gewerkschaftliche Berichterstattung hingegen als „parteiisch“ ablehnen. Ähnliches gilt für andere soziale Themen. Das Kollektiv bringt Beispiele: „Wenn man von Polizeiknüppeln zertrümmerte Schädel sieht, schreibt die Konzernpresse von gewalttätigen Demonstranten. Wenn man die Gewalttätigkeit bei Betriebsschließungen und Räumungen sieht, spricht die Konzernpresse von gewalttätigen Arbeitern und Angestellten, die überholte Privilegien verteidigen“.
Im zweiten Teil des Textes wird dieses Problem der Verbreitung von Fotos analysiert. Auch das „sozialfotografische Bild“, das für den Sozialfotografen das wiedergibt, was ihm wichtig ist (seine sozialen Anliegen, seine „Ideologie“) kann ins Gegenteil verkehrt werden, je nachdem, in welchem Zusammenhang das Foto präsentiert wird. Wenn es als bloße Illustration dient, kann es durch eine Bildunterschrift gewendet werden. „LaMeute“ bezieht sich dazu auf einige Texte von Alan Sekuala, der in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts dieses Thema behandelt hat.
Wesentlich ist für LaMeute die „kollektive“ Produktion und Verteilung der Fotos – die Gruppe lehnt das Bild des „Fotografen-Helden“ ab. Vereinfacht gesagt: ein „großer Name“ kann es erleichtern, bestimmte Inhalte zu verbreiten, er ist aber keineswegs die Voraussetzung dafür. Die Heroisierung des tapferen Fotoreporters ist für „LaMeute“ in der Regel an die Verwertungsbedingungen der Fotos geknüpft. (Kleiner Exkurs: wenn wir von „Verwertung“ sprechen, ist uns oft nicht bewusst, dass der Begriff nichts anderes aussagt, als dass etwas „in einen Wert“, also ver-wertet, wird. Damit sich der „Wert“ materialisieren kann, muss er „auf dem Markt“ durch Verkauf realisiert werden).
Das Kollektiv LaMeute richtet sein Augenmerk also auch auf die „nicht-verwertbare“ Verbreitung der Fotos – in sozialen Medien, auf Flugblättern, in „Alternativmedien“, Gewerkschaftszeitungen, aber auch in der größten Galerie der Welt: Auf der Straße (plakatierte Fotos, Open-Air-Ausstellungen).
Die sieben Punkte, auf denen das Kollektiv beruht, sind eine gute Diskussionsgrundlage für alle, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen (wollen).
So reicht es „LaMeute“ nicht aus, soziale Bewegungen zu dokumentieren – der Sozialfotograf, die Sozialfotografin berichtet nicht über, sondern für die Bewegung. Finanzielle Überlegungen spielen daher keine vordergründige Rolle. Zugleich sind die engagierten Sozialfotograf_innen diejenigen, die das kollektive Gedächtnis, das Archiv, der Bewegung füllen. Ihnen kommt also eine wichtige dokumentarische Verantwortung zu. Dazu gehört aber auch der Respekt vor dem Schutz des Individuums: Die Sicherheit der Akteure geht vor der Sensation des Bildes (dazu hat es hier auf meinem Blog schon einige Beiträge gegeben).
Diskussionsbeiträge und Kommentare zu diesem Thema sind höchst wilkommen!
Schade, daß ich außer Merci und so kein Französisch kann. Der Text von LaMeute ist sicher interessant.
Aber auch dein Beitrag hat viele gute Hinweise. Gemeinsam fotografieren, die Verwertung, den individuellen Namen in den Hintergrund stellen. Veröffentlichen in sozialen Medien, auf Flugblättern, in „Alternativmedien“, Gewerkschaftszeitungen, auf der Straße.
Danke.