Regelmäßige Besucherinnen und Besucher von complexityinaframe wissen, dass neben der Streetphotography die Arbeiter*innenfotografie – historisch und aktuell – einer der Schwerpunkte dieser Website ist.
Durch einen Artikel in der letzten Ausgabe der PHOTONEWS bin ich auf die diesjährige Triennale in Hamburg aufmerksam geworden. Die 1999 von F.C. Gundlach ins Leben gerufene Triennale der Fotografie in Hamburg ist mittlerweile eine Institution geworden – keine patinierte, verzopfte, sondern eine höchst lebendige. Und wenn Sie’s jetzt genau wissen wollen – nein, leider, zu meinem Leidwesen hatte ich bisher keine Gelegenheit, eine der Ausstellungen in der Hansestadt zu besuchen. Kann und darf man dann überhaupt über ein Fotoevent berichten? Aber ja, sage ich ganz unverfroren, wozu gibt es Fotobücher, Ausstellungskataloge und, last, but not least, das Internet, um sich zumindest eine Meinung über eine Ausstellung bilden zu können?
HAMBURGER TRIENNALE MIT STREIK-FOTOS
Hamburg ist ja nicht gerade ums Eck von meiner Heimatgemeinde. Das trifft mich besonders hart, wenn ich auf die Homepage des Museums der Arbeit in Hamburg klicke. Denn dort wird im Rahmen der Triennale die Ausstellung STREIK! Fotogeschichten von Arbeitskämpfen gezeigt.
Die Perspektive der Ausstellung ist breit gefächert, und das ist gut und richtig so. Die Arbeiter*innenbewegung als eine internationale Kraft wird kaum selten so sichtbar wie in ihren Kämpfen um ein menschenwürdiges Leben – um höhere Löhne, geringere Arbeitszeit, die Schaffung neuer Arbeitsplätze für junge Menschen, eine qualitativ hochstehende gesundheitliche Versorgung, einen sorgenfreien Lebensabend. Die Sprache, die Hautfarbe, die Religion oder Konfession der Akteure mag verschieden sein – über die Grenzen hinaus sind Streiks verbindend, lösen Solidarität und Unterstützung aus.
Die Fotografie war und ist ein wesentliches Moment, um Streikbewegungen über den oft regional oder gar betrieblich begrenzten Rahmen hinaus bekannt zu machen. Zugleich können Bilder entscheiden, auf welcher Seite die Öffentlichkeit steht. Mehr dazu im Zusammenhang mit dem britischen Bergarbeiterstreik 1983/84.
Laut Pressetext bilden die Streiks in Bereichen mit strukturellen Problemen ab den 60er Jahren den Ausgangspunkt der Ausstellung. Angeführt werden die Fabriksbesetzungen in Rheinhausen und die Werftbesetzung bei HDW in Hamburg.
AUF DEN WERFTEN GING ES RUND
Klar, dass der Arbeitskampf bei HDW schon aus rein lokalen Bezügen in der Ausstellung dargestellt wird. Für die österreichischen Leserinnen und Leser ein paar Informationen: In den 60er Jahren, als das Schlagwort von der Globalisierung noch nicht erfunden war, begann eine Verlagerung des Schiffbaus aus europäischen Werften in die billigeren asiatischen Hafenstädte. In Norddeutschland reagierten drei Werften mit der Fusion zur Howaldtswerken Deutsche Werft AG (HDW). Aber bereits 1973 wurde der erste Standort, Finkenwerder, geschlossen, Die folgenden Jahren brachten ein langsames Ausbluten der für die ganze Region wichtige Industrie. Ab Frühjahr 1983 wurde der Schiffneubau eingestellt und das Werftgelände um 100.000 Quadratmeter verkleinert. Schon da gab es erste Proteste – am 12. September 1984 war der Siedepunkt erreicht. Die Werksleitung hatte knapp 1.400 Kündigungen binnen einer Woche angekündigt. Es waren die Frauen der HDW und MAN-Arbeiter, die den Ausschlag gaben: Mit einem Hungerstreik protestierten sie nicht nur gegen das Werftmanagement, sondern auch gegen ihre Männer, denen sie Passivität vorwarfen. Das in Hamburg erscheinende Nachrichtenmagazin „stern“ titelte folgerichtig: „Aufstand der Frauen“.
Die HDW-Belegschaft reagierte auf die Forderungen des Frauenkomitees mit der Besetzung der Werft. 12 Tage lang blieben Arbeiter am Gelände, diskutierten untereinander und mit Vertretern des Betriebsrats und der Gewerkschaft, es gab Demonstrationen, zu denen Delegationen anderer Großbetriebe aus der Region Wasserkante anreisten.
Hier ist nicht der Ort, um die Gründe des Scheiterns der Werftbesetzung zu diskutieren. Klar ist aber eines: Starke Bilder vom Kampf um die Arbeitsplätze bei HDW haben wesentlich dazu beigetragen, dass es massive Unterstützung von Außen gab. Bestimmte Fotos, wie jene von der Frauendemonstration zur Unterstützung der Streikenden, kann man durchaus als ikonisch bezeichnen.
Ziemlich genau 10 Jahre vorher erschütterten zwei „wilde Streiks“ Deutschland: der Arbeitskampf bei Ford in Köln und jener beim Autozulieferer Pierburg in Neuss.
„TÜRKEN-TERROR BEI FORD“: DER „WILDE STREIK“ VON 1973
Der Streik bei Ford Köln war deswegen ein Wendepunkt der Klassenauseinandersetzungen in Deutschland, weil hier erstmals migrantische Arbeiter*innen an der Spitze standen. Unmittelbarer Anlass war die fristlose Kündigung von 300 türkischen Arbeitern, die nicht rechtzeitig vom Urlaub in ihrer Heimat zurückgekommen waren. Dieses Problem hatte es schon früher gegeben, die Fehlzeiten wurde in der Regel durch freiwillige Zusatzschichten eingearbeitet. Der Personalvorstand blieb dieses Mal unnachgiebig – daher protestierten am 24. August 400 türkische Arbeiter für die Wiedereinstellung ihrer Kollegen. Spontan schlossen sich 8.000 Arbeiter – türkische und deutsche – dem Protest an. Die schlechten Arbeitsbedingungen führten zu einer Erweiterung der Forderungen – eine Mark mehr Stundenlohn, Senkung der Bandgeschwindigkeiten, eine Woche mehr Urlaub.
Die Geschäftsführung und im Gleichklang die bürgerlichen Medien eröffneten eine wütende Propagandaoffensive gegen die Streikenden, denen sich am 27. August auch die 12.000 Beschäftigten der Frühschicht angeschlossen hatten. Wer streikt, sei kein „Gast“arbeiter; Kommunisten hätten sich ins Ford-Werk eingeschlichen. „Die Türken“ versuchten, die „Deutschen“ egoistisch vor ihren Karren zu spannen. Die Realität war so simpel wie brutal: Der Großteil der migrantischen Arbeiter waren Hilfsarbeiter und fielen in die Niedriglohngruppen. Der DGB hatte die Interessen der „Gastarbeiter“ weitgehend ignoriert. Im Betriebsrat waren die türkischen Kollegen, die immerhin ein Drittel der Belegschaft darstellten, nur minimal vertreten, zudem durch vier Dolmetscher, die von ihren Kollegen verdächtigt wurden, mit der Geschäftsführung gegen die eigenen Leute zu arbeiten. Daher hatten die Streikenden wenig Vertrauen in die Verhandlungen, die der Betriebsrat mit der Ford-Werksleitung führte.
In einem Text von Serhat Karakayali über migrantische Kämpfe in Deutschland heißt es dazu: „Gewerkschaft und Betriebsrat organisierten eigene Demonstrationen und konnten die Mehrheit der deutschen KollegInnen für sich gewinnen. Am Mittwoch, dem 29. August 1973, standen von den Deutschen nur noch Lehrlinge und jüngere Aushilfsarbeiter auf der Seite der Streikenden. Die radikale Haltung der ArbeiterInnen, hieß es nun, sei durch ‚fremde Kräfte‘ geschürt. Die BILD-Zeitung flüsterte von ‚6-8 Kommunisten, die sich getarnt in Monteursmänteln in das kilometerweite Werksgelände eingeschlichen haben‘ (29. August 1973). Auch der Betriebsratsvorsitzende Lück erklärte im Express, ‚der ehemalige Radikalen-Tummelplatz Universität sei vielerorts in die Betriebe
verlagert‘ worden. Überschriften wie ‚Türken-Terror bei Ford‘ und ‚Übernehmen die Gastarbeiter die
Macht?‘ dokumentieren, wie der Arbeitskampf in eine Art Krieg der Mentalitäten umgedeutet wurde.
Plötzlich ging es nicht mehr um Lohnforderungen, Entlassungen und Arbeitsbedingungen, sondern um die Ausländer, die das deutsche Tarifsystem nicht richtig verstehen würden“.
Am 30. August wurde der Streik buchstäblich niedergeschlagen: 2.000 Streikende formierten sich zu einem Demonstrationszug, dem sich eine „Gegendemonstration“ von Meistern, Angestellten, aus dem Umland angereisten Faschisten, Streikbrechern aus Belgien, Polizisten und Werkschutz entgegenstellte. Mit Knüppeln und Schlagringe wurde auf die „Türken“ eingeprügelt, der charismatische Sprecher des Streiks, Baha Targün, wurde schwer verletzt.
Dem Kölner Fotografen Gernot Huber verdanken wir eine Reihe beeindruckender Fotos vom Ford-Streik, und zwar aus der Sicht eines Beobachters, der „auf der gleichen Seite der Barrikaden“ stand. Sein ikonisches Foto von Baha Targün bei einer Rede am Werkstor mit Megaphon ist auch das Bild, das der Ausstellung im Internet ihr „Gesicht“ gibt. Leider konnte ich bisher so gut wie keine ausführlichen Informationen zu Gernot Huber finden – aber ich arbeite dran!
DER THATCHERISMUS AN DER ARBEIT – DER MINERS STRIKE 1984
So wie Ronald Reagan in den USA durch die Niederringung des Streiks der Fluglotsen der organisierten Arbeiter*innenbewegung eine lange nachwirkende Niederlage beigebracht hatte, rüstete in Britannien die konservative Margaret Thatcher zu einem entscheidenden Schlag gegen die Gewerkschaften. Ihr Ziel war die Vernichtung der National Union of Mineworkers. Die seit 1979 regierende Konservative hatte aus ihrer Abneigung und ihrer Verachtung gegenüber den Gewerkschaften nie ein Hehl gemacht. In ihrem Umfeld wurden Pläne ausgearbeitet, wie man durch Schaffung einer speziellen Polizeitruppe gegen Arbeitskämpfe vorgehen könnte. Der Inlandsgeheimdienst und die politische Polizei unterwanderte Gewerkschaften und linke Organisationen, wobei „links“ bereits die Labour-Party implizierte.
Es würde den Rahmen dieses Blogbeitrags sprengen, würde ich auf die Details des Minerstrikes eingehen.
Bei der Ausstellung in Hamburg werden auch Fotos von diesem legendären Arbeitskampf gezeigt. Wie beim Ford-Streik 1973 wurde dieser Klassenkampf auch mit der Linse geführt. Vor allem reaktionäre Boulevardblätter wie „The Sun“ machten mit geradezu kriegerischen Schlagzeilen Stimmung gegen die Streikenden, garniert mit Bildern, die den „Krieg um die Gruben“ einseitig aus Polizeisicht abbildeten.
Ein Höhepunkt war folgender Coverentwurf, der nie das Licht der Öffentlichkeit erblickte: Gewerkschaftsvorsitzender Scargill mit erhobener Hand und der Überschrift „Mine Fuhrer“. Das war sogar den Druckern zu viel – ihre Gewerkschaft verhinderte, dass diese Titelseite gedruckt wurde.
Leider konnte ich bisher nicht herausfinden, ob es zu dieser Ausstellung einen Katalog gibt. Ich werde mich aber in zumindest einem weiteren Beitrag mit einem Aspekt beschäftigen, der ebenfalls in der Ausstellung im Museum der Arbeit behandelt wird: dem Massaker an den streikenden Arbeitern in Marikana 2012. Bei der Aufklärung dieses Verbrechens hat der südafrikanische Fotograf Greg Marinovich eine herausragende Rolle gespielt.
Kurt Lhotzky
Herzlichen Dank an die Presseabteilung der Hamburger Museen für die Presseinfos und Fotos!
Beitragstitelfoto: Michael Meyborg