„Reden wir über Fotografie“ – wenn, dann aber so!

Die Durststrecke auf dem Fotobuchmarkt ist im deutschen Sprachraum zum Glück seit drei, vier Jahrzehnten vorbei. Das heißt: die Zeit, in denen als Fotobuch das mehr oder minder liebevoll gestaltete Reisebuch mit bunten Bildern bezeichnet wurde. Ja, es gab auch ein bisschen was an „echter“ Fotoliteratur – meistens an bestimmte Kameramarken gebunden – in den 50er und 60er Jahren, meistens schwarzweiß, meistens in eher bescheidener Druckqualität.

Mittlerweile haben sich Fotografie und damit auch Fotobuch einen honorigen Platz im Kulturbetrieb und vor allem in der Alltagskultur erkämpft. Damit hat auch das Angebot an Fotoliteratur zugenommen, und das ist mehr als begrüßenswert. Alles, was das Sehen anregt, den überraschten und überraschenden Blick, ist gut und bringt Fotograf*innen weiter. Das ist besonders in einer Zeit wichtig, in der mehr Fotos pro Minute gemacht und ins Internet hochgeladen werden als im ersten Jahrhundert der verhältnismäßig neuen visuellen Kunstrichtung (so man sie als Kunst betrachtet, was ja auch nicht unumstritten ist) zusammengenommen. Fotobücher sind Galerien zwischen Buchdeckeln.

Sie können aber auch Lehrsäle sein, die schlank oder auch etwas kräftiger auf unseren Bücherregalen stehen und aus denen uns Wissen entgegenspringt, wenn wir sie aufschlagen. Literatur über Fotografie gibt es in den unterschiedlichsten Qualitätsstufen, zum Glück auch in unterschiedlichen Preisklassen. Die Bemerkung über die Qualitätsstufen ist keine herablassende Qualifizierung – ganz im Gegenteil. Ich begrüße es explizit, dass Menschen, die sich aus ganz unterschiedlicher Motivation mit Fotografie beschäftigen, „ihr“ Buch finden, dass ihnen weiterhilft, ihre Fragen beantwortet, ihnen bei der Entwicklung ihrer eigenen fotografischen Fertigkeiten hilft. Fotografie ist eine sehr demokratische Kunst. Sie sollte daher weder an elitärem Standesdünkel noch am Preis scheitern.

So, wie es Sternstunden der Menschheit gibt, gibt es auch Sternstunden der Literatur über Fotografie. Eine davon durfte ich am 31. Jänner in der Wiener Galerie Westlicht – dem „Schauplatz der Fotografie“ – erleben, als Andreas J.Hirsch als Herausgeber im Gespräch mit dem Autor Hans-Michael Koetzle das Buch „Reden wir über Fotografie“ vorstellte. Das Buch ist im Kehrer-Verlag erschienen, die grafische Gestaltung lag in den Händen von Laura Pecoroni, die Herstellung in denen von Tom Streicher.

Das Buch enthält keine neuen Texte – es ist eine Art „best of Koetzle“. Der 1953 in Ulm geborene studierte Germanist und Historiker ist, kann ich wohl etwas dramatisch sagen, seit 1987 der Fotografie verfallen. Sein „Erweckungserlebnis“ waren die Brecht-Porträts des königlich-bayerischen Hoffotografen Konrad Reßler, derer er in diesem Jahr im Münchner Stadtmuseum ansichtig wurde. Bereits erfahren als Kulturjournalist, schlug Koetzle Museumsdirektor Stölzl ein Buch mit den außergewöhnlichen Fotografien vor, die so gar nicht ins Klischee vom Oeuvre eines Hoffotografen passten. So begann die schriftstellerische Beschäftigung Koetzles mit der Fotografie.

Acht Jahre später treffen wir auf den Ausstellungsmacher, Kurator, Fotohistoriker Koetzle als Gestalter einer Ausstellung über das Magazin twen. Die Ausstellung war nicht nur ein Besuchererfolg – sie öffnete eine neue Dimension der Betrachtung von Fotogeschichte. Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter der „Illustrierten“, der Aufstieg der Fotografie ist untrennbar mit bildlastigen Zeitschriften, von der „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ in Deutschland in den 20er Jahren, „Regards“ und „VU“ in Frankreich in den 30er Jahren, „LIFE“, „Vogue“, „Harpers Bazaar“, später „Stern“, „Geo“, „Paris Match“, „Elle“ … verbunden. Vor Koetzles twen-Ausstellung ruhten diese papierenen Monumente der Fotografie in den Archiven – damit war es danach vorbei.

Hans-Michael Koetzle arbeitete und arbeitet auch im Internet-Zeitalter sehr analog. Viele Quellen sind nicht digitalisiert, und die penible Archivarbeit kann durch keine noch so aufgeblähte Suchmaschine ersetzt werden.

Die Arbeitsweise Koetzles ist der Glücksfall für alle an Fotografie Interessierten. Denn sein sehr „amerikanischer“ Recherche- und Schreibstil kommt nicht ohne oral history aus. Und genau darin liegt die besondere Anziehungskraft des Buches „Reden wir über Fotografie“, das Koetzle überaus eloquent und humorvoll in Wien vorstellte. Der schön gestaltete Band enthält überwiegend Interviews und Porträtskizzen von bedeutenden Fotograf*innen und Grafikdesigner*innen. Es gehört zum großen Verdienst von Hans-Michael Koetzle, dass er die bedeutende Rolle der Art Directors der Illustrierten der Glanz- und Hochzeit dieses Mediums herausarbeitet. Er zeigt, wie viele der europäischstämmigen Art Directors wie Alexej Brodovitch, Alexander Libermann oder Henry Wolf (übrigens ein gebürtiger Wiener) den Design-Horizont der amerikanischen Publikationen erweiterten und beeinflussten.

Dazu kommt der ebenfalls sehr amerikanische Ansatz, den Koertzle im Gespräch mit Herausgeber Hirsch auf den Punkt brachte: er schreibe nicht über Wissenschaft, sondern über Wissen. Und das, sei hinzugefüht, unerhört elegant.

Auch als Herausgeber von Zeitschriften wie der „Leica World“ legte Koetzle großen Wert auf Design, Gestaltung und Typographie. Das findet auch im unverschnörkelten, geradlinigen Design von „Reden wir über Fotografie“ seinen Niederschlag.

Die Beiträge im Buch sind scheinbar mit leichter Hand geschrieben, die Interviews im Stil der zwanglosen Plauderei geführt. Die Anmerkungen am Ende des Buches zeigen dann jedoch, wieviel Vorbereitung hinter jedem einzelnen der Gespräche steckt. Koetzle gelingen dabei Glanzleistungen, wie etwa im Gespräch mit Saul Leiter, das tiefe Einsichten ins Werk des lange unterbewerteten Fotografen mit wunderbarem Humor verbindet.

Damit bin ich beim subjektiven Teil – meinen ganz persönlichen Highlights. Da ist, neben dem erwähnten Gespräch mit Saul Leiter, die Begegnung mit der beeindruckenden Helen Gee, die in den 50er Jahren die erste wirklich „reine“ Fotogalerie in New York eröffnete und letztlich mit dem charmanten „Limelight“-Projekt Schiffbruch erlitt, denn: „„Für den Durchschnittsbürger war ein Foto nichts anderes als ein Stück Papier“, wie sie rückblickend weiß. Robert Frank verlangte 25 US-Dollar für ein Original, Paul Strand gar 125 Dollar (alle hielten ihn deshalb für verrückt).

Dann das Treffen mit Lisl Steiner. Die erst sehr spät wiederentdeckte Fotografin mit Wurzeln in Wien ist eine wunderbare Partnerin für den Dialog mit Hans-Michael Koetzle, zu dessen Charakterisierung mir kein anderer Begriff als der des Gentleman einfällt.

„Regisseure eines Mythos – Bilder, Bücher, Buchkonzepte – Fotografen sehen Paris“ bildet den abschließenden Text des Sammelbandes. Hier merkt man, dass das Herz Koetzles nicht nur für die Fotografie, sondern auch für „die Hauptstadt der Welt“ schlägt. Wer wie ich eine starke Affinität zur Stadt an der Seine hat wird diese 30 Seiten genießen.

Herausgeber Andreas J. Hirsch, 2009-2014 Kurator am Kunst Haus Wien, Autor, Ausstellungsmacher und Fotograf, steuert ein informatives und sehr schönes Porträt Hans-Michael Koetzles bei.

„Reden wir über Fotografie“ ist ein rundum empfehlenswertes Buch für alle an Fotografie Interessierten. Wer einer solchen Person im Freundes- oder Familienkreis Freude bereiten möchte, sollte unbedingt dieses Buch schenken.

Schließen möchte ich den Kreis mit dem Mann, der irgendwo am Anfang dieser Rezension steht – Bert Brecht. In seiner „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“ schließt er mit einer Danksagung an den Zöllner, der Laotse genötigt hat, seine Gedanken niederzuschreiben. Der gleich Dank gebührt Hans-Michael Kötzle für seine Gespräche, die er mit Fotografinnen und Fotografen geführt hat, aber auch Andreas J. Hirsch und dem Kehrer-Verlag, die dieses bemerkenswerte Projekt umgesetzt haben:

Aber rühmen wir nicht nur den Weisen
dessen Name auf dem Buche prangt!
Denn man muss dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.
Darum sei der Zöllner auch bedankt:
Er hat sie ihm abverlangt.

Kurt Lhotzky

Hans Michael Koetzle

Reden wir über Fotografie

Herausgegeben von Andreas J. Hirsch, Hans Michael Koetzle

Gestaltet von Kehrer Design, Laura Pecoroni

Kehrer-Verlag

384 Seiten. EUR 29,– (A), EUR 28,– (D)

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert