Mehr als 80.000 Bilder wurden 2016 für den World Press Photo Award eingereicht. Warren Richardsons Foto entstand im August 2015 an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn. Ungefähr 200 syrische Flüchtlinge versteckten sich im serbischen Dorf Horgos auf einer Apfelfarm, um nach Röszke in Ungarn zu kommen. Von der ungarischen Seite her sprühten Polizisten Pfefferspray auf die Menschen und schrien: „Wenn ihr illegal nach Ungarn kommt, verhaften wir euch“.
Unter den Flüchtlingen: Der australische Fotograf Warren Richardson. Der 1968 geborene Richardson ist Autodidakt. Eine Krebserkrankung in seinen Teenagerjahren war der indirekte Auslöser seiner Berufswahl: Im Zuge seiner Therapie lernte er im Spital eine Frau kennen, die ihm kurz vor ihrem Tod sagte, er solle sich einfach auf den Weg machen und tun, was ihm wichtig sei – sonst könne es leicht zu spät sein. Ein paar Jahre später fiel ihm dieser Rat ein, als er erkannte, dass er in seinem erlernten Beruf – Klempner – nie glücklich werden würde. Mit einer alten Pentax machte er sich auf den Weg, reiste durch Laos, Thailand, Nepal, Vietnam, fotografierte die Menschen der Landminenberatung, Opfer der Kriege in Indochina. „Ich reiste nicht um zu fotografieren, ich reiste um zu entkommen„.
Zurück zur Nacht, in der das mittlerweile weltbekannte Foto entstand:“Ich wusste, was sie tun mussten (die Grenze überqueren), und wenn sie still waren, war ich auch still. Ich durfte ihre Verhaltensweisen nicht verletzen und sie dadurch verletzen„. Natürlich musste der Fotograf ohne Blitz arbeiten, um den Standort der Flüchtlinge nicht zu verraten. Als das Bild geschossen wurde, tat sich kurz eine Lücke im NATO-Draht-Zaun auf – Richardson riss die Kamera hoch, fotografierte, hoffte, dass seine Aufnahmen in der Dunkelheit etwas werden würden.
Er selbst hätte nie daran gedacht, dieses Foto, das den Preis gewann, für den World Press Photo Award einzureichen – das geschah erst auf Druck eines Freundes und Fotoredakteurs. Mit Warrens Foto, das vermutlich eines der ikonischen Fotos dieses Jahrhunderts werden wird, gewann zum ersten Mal seit 2009 ein Schwarz-Weiß-Bild den Bewerb.
Warren Richardson ist Freelancer – dementsprechend sagt er zu Recht, dass er mit seinen Fotos keine Regeln bricht, weil er sich seine Regeln selbst macht. Seine Themen zeigen sein tiefes Engagement für soziale und ökologische Fragen. Als er im Frühjahr erfuhr, dass er den World Press Award erhalten würde, war er gerade zu Fuß von seinem neuen Wohnsitz in Budapest aus auf dem Weg nach Norwegen. Mehrere Wochen verbrachte er auf den Straßen von Oslo unter Heroinsüchtigen – die beeindruckenden und erschütternden Fotos präsentierte Warren Richardson bei seiner Eröffnungsrede für die WPP-Ausstellung in der Wiener Galerie Westlicht.
Auch in Oslo fotografierte er übrigens von Haus aus in schwarzweiß. Sein Siegerphoto machter er mit einer Canon EOS 5D MarkII, Belichtungszeit 1/5 Sekunde.
Kleiner Nachtrag: Es bleibt wohl dem Meinungsforum einer österreichischen Qualitätszeitung überlassen, unmittelbar nach einem Kurzporträt Warren Richardsons zwei Kommentare abzudrucken, in denen von „politisch korrektem Dreck“ (korrekte Schreibweise von mir) die Rede ist. Andererseits – ein Beweis, dass Richardson einen wirklichen Nerv getroffen hat!