Am 13. April 2022 starb Letizia Battaglia im Alter von 87 Jahren in ihrem heimatlichen Palermo. Sie war die wohl prominenteste Fotojournalistin des Landes und eine der wichtigsten Kämpferinnen gegen die Mafia in Sizilien. Die spätberufene Fotografin leistete mit ihren erschreckenden Fotos von den Verbrechen des organisierten Verbrechens und dem Leid der Hinterbliebenen einen wesentlichen Beitrag dazu, dass in den Maxi Prozessen 1986 bis 1992 474 Mitglieder der Mafia verurteilt werden konnten.
Die 1935 geborene Laetitia begann ihre fotografische Karriere im Alter von 40 Jahren. Ihr streng traditionalistischer und daher katholischer Vater sperrte die Tochter buchstäblich zu Hause ein. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die sizilianische Gesellschaft, dass tatsächlich schon kleine Mädchen in den Straßen Palermos von erwachsenen Männern belästigt wurden. Schuld waren in solchen Fällen natürlich die Kinder.
Mit 16 konnte sie dem väterlichen Zwang entfliehen, indem sie den wesentlich älteren Spross einer lokalen Kaffeerösterfamilie heiratete. Es folgten 15 Jahre einer unglücklichen Ehe und drei Kinder. Als Letizia erklärte, studieren zu wollen, erklärte ihr Mann sie für verrückt. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch und einen Herzinfarkt. Immerhin erkannten die Ärzte, dass offensichtlich psychische Ursachen hinter dem Zusammenbruch steckten. Eine Psychoanalyse half ihr, aus der unglücklichen Situation auszubrechen. In einem Land, in dem die Ehescheidung verboten war, verließ sie mit den Töchtern ihren Mann und ging nach Mailand.
Dort fand sie einen unsicheren Posten bei der linksgerichteten Tageszeitung l’Ora. Als auch Fotos gefordert wurden, griff sie beherzt zu ihrer Leica und versuchte sich in einem für sie neuen Metier. Ihre Fotos überzeugten den Bildredakteur, und so wurde sie eine der ersten Fotoreporterinnen Italiens. 1974 kehrte sie mit ihrem Kollegen und Lebenspartner Franco Zecchin nach Palermo zurück – als Cheffotografin von l’Ora.
Es waren die “bleiernen Jahre” – und das bezog sich in Italien nicht nur auf die grassierende Korruption, die faschistischen Komplotte und die Erstickung der kulturellen Atmosphäre unter einer Decke der Bigotterie. In Sizilien war es das Blei, das durch die Luft flog.
Letizia Battaglia schaffte es, ihre Fotos auf die Titelseite von l’Ora zu bringen. Es waren Jahre, in denen der Clan der Genovesi nach der Macht in der Mafia, in Sizilien und im Staat griff. In Palermo herrschten kriegsähnliche Zustände. Ein Ohr am Polizeifunk, entwickelte Letizia in ihrer Dunkelkammer die Fotos, auf denen sie die Massaker der Mafia dokumentierte, um auf ihrem Motorrad gleich zum nächsten Tatort zu brettern. Oft fotografierte sie vier, fünf Verbrechens-Schauplätze an einem Tag.
Die Drohungen blieben nicht aus. In ihre Wohnung wurde wiederholt eingebrochen. Sie wurde geschlagen und bespuckt, ihre Kamera zertrümmert. Aber Battaglia weigerte sich, die Leica wegzulegen. Sie begriff, dass ihre Fotos mehr als “Abbilder” waren, sondern eine scharfe Waffe im Kampf gegen den Filz aus organisierter Kriminalität, Wirtschaft und Politik.
In diesen Jahren lernte Battaglia unter anderem die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellini, aber auch führende Anti-Mafia-Intellektuelle wie Leonarda Sciascia (Krimiautor und Senator) kennen. Mit Letzterem kam es nach seinem umstrittenen Artikel über die “Anti-Mafia-Profis” im Corriere della Sera vom 10. Jänner 1987 zum Bruch. Sciascia warf den Staatsanwälten vor, in erster Linie auf ihre Karriere zu schielen und unterstellte ihnen politische Interessen. Auch zog er die Glaubwürdigkeit eines der wichtigsten Zeugen der Anklage gegen die Mafia, des Kronzeugen Buscetta, in Zweifel. Später räumte Sciascia ein, durch falsche Informationen in die Irre geführt worden zu sein. Aber da hatte sein Artikel schon als scharfe Munition der Mafia und ihrer journalistischen Helfer gegen die Staatsanwälte gedient. Falcone und Borsellini wurden beide ermordet.
Mehr als 600.000 Aufnahmen machte Battaglia in ihrer Zeit in Palermo – alle in Schwarzweiß. Einige schrieben Geschichte. Wie das Bild, das Battaglia 1979 zufällig vor dem Hotel Zagarello schoss und den Vorsitzenden der Christdemokratischen Partei, Giulio Andreotti, Seite an Seite mit dem Mafioso Nino Salvo zeigte. Im Prozess gegen Andreotti lieferte dieses Foto den Beweis, dass es den vom Angeklagten heftig bestrittenen Kontakt zu den Spitzen der Mafia tatsächlich gegeben hatte.
In den 90er Jahren beendete Battaglia ihre berufliche Tätigkeit als Fotografin. Aus dem Beginn der Berlusconi-Ära zog sie den Schluss, dass Fotografie alleine nicht mehr ausreichte, um den gordischen Knoten der Liaison von Politik und Mafia zu durchschlagen. Für die Anti-Mafia-Liste La Rete zog sie in den Stadtrat von Palermo ein und erhielt ein eigenes Ressort für Lebensqualität.
Letizia Battaglia empfing eine ganze Reihe von nationalen und internationalen Preisen, darunter den “Grant in Humanistic Photography”. Ihr Leichnam wurde im Rathaus von Palermo aufgebahrt, Tausende Menschen erwiesen ihr dort die letzte Ehre.
Kurt Lhotzky, 16.4.22
Als ergänzende Literatur empfehle ich:
Mathilde Schwabeneder
Sie packen aus – Frauen im Kampf gegen die Mafia
erhältlich im Literaturbuffet, Rotensterngasse 2, 1020 Wien, www.literaturbuffet.com und im Buchhandel allgemein!
Credits Beitragsfoto: Letizia Battaglia und Franco Zecchin 1987, von Tato Grasso – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7123757