Am 28. Februar 1981 nahm der aus Münster stammende Manfred Linke (Jahrgang 1954), Redaktionsmitglied der Kölner Stadtzeitung „Schauplatz“, mit seiner Kamera an der Großdemonstration gegen das geplante AKW in Brokdorf teil. Trotz eines Versammlungsverbotes (das 1985 vom Bundesverfassungsgerichtshof rückwirkend als unzulässig aufgehoben wurde) nahmen zwischen 50.000 und 100.000 Menschen an den Protesten in der Wilstermarsch teil. Gegen „gewalttätige“ Demonstrantinnen ging die Staatsgewalt mit Wasserwerfern, Hubschraubern und SEK-Einheiten vor. Zurück in Köln diskutierten Linke und andere in Brokdorf anwesende Fotografinnen, was sie gesehen hatten und was das für ihre Arbeit bedeutete.
Auf eigene Faust, ohne Auftraggeber in der Hinterhand, veröffentlichten die Fotografinnen ihre Sicht der Ereignisse. Die Broschüre, die sie auch selbst layoutierten und drucken ließen, war eine subjektive Dokumentation. Zu den Herausgebern und (Selbst)Verlegern zählten die Fotografen des „Kölner Volksblatts“ Günter Beer, Jürgen Bildrim und Guenay Ulutuncok, gemeinsam mit Manfred Linke. Diese gemeinsame Publikation und das daraus entstehende „Fotografenbüro“ standen an der Wiege der Fotoagentur laif.
Ähnlich wie die erste von Fotografen gegründete Agentur Magnum (1947) baute laif auf einem gemeinsamen Verständnis von Fotografie als einem Medium auf, das eine bedeutende soziale und gesellschaftliche Verantwortung trägt.
Gerade Fotografinnen, die mit einem sozial engagierten, „humanistischen“ Ansatz an ihre Arbeit herangehen, wissen aufgrund ihrer Weltsicht, wie wichtig gemeinsames Handeln und Solidarität sind. Für sie ist der mehr oder minder enge Zusammenschluss eine wesentliche Voraussetzung, um auf einem immer konzentrierteren Markt ihre Arbeits- und Verwertungsbedingungen zu schützen.
In den ersten 10 Jahren von laif dominiert die Schwarzweiß-Fotografie, die „klassische“ Reportageästhetik also.
Im vergangenen Jahr (2022) zeigte das MAKK -Museum für Angewandte Kunst Köln unter dem Titel „40 Jahre laif – 40 Positionen dokumentarischer Fotografie“ eine Ausstellung, die chronologisch die Geschichte der Agentur Revue passieren ließ.
Neben den klassischen Themen der sogenannten „nachrichtlichen“ Bildagenturen (soziale Proteste, Kriege, zunehmend das Umweltthema) ist laif heute sehr breit aufgestellt. Die Darstellung der vielfältigen Facetten der menschlichen Existenz machen einen Besuch auf der Internetseite von laif, und hier besonders auf den Archivseiten, zu einem visuellen Erlebnis. Aus der kleinen, eher links-alternativ verorteten Agentur ist in der Zwischenzeit mit mehr als 400 vertretenen Fotografinnen einer der Big Player im deutschen Agenturgeschäft geworden. Außerdem betreut laif in Deutschland die Interessen zahlreicher ausländischer Agenturen und Archive wie jenes der New York Times. Neu dazugekommen ist die Betreuung von Mondadori Portfolio.
Nicht nur Gründungsmitglied Linke ist WordPressPhoto-Preisträger – er steht hier nur symbolisch für alle Fotografinnen bei laif, die für ihre Arbeiten ausgezeichnet wurden. Und was die inhaltliche Positionierung der Agentur betrifft, herrscht auch darüber Klarheit: in einer Zeit, in der Presse- und Fotoberichterstattung nicht nur in heißen Konfliktregionen, sondern auch in deutschen und österreichischen Kleinstädten mitunter den Charakter der Kriegsberichterstattung annimmt (Stichwort: „Lügenpresse, halt die Fresse“), steht laif klar zu einer demokratischen und humanistischen Grundhaltung.
Wachstum kann auch schmerzen. War es am Anfang wie bei anderen jungen deutschen Bildagenturen wie Visum, Plus, Ostkreuz üblich, dass die „Gründerväter- und mütter“ über die Aufnahme neuer Kolleginnen kollektiv entschieden, war das ab einer gewissen Größe nicht mehr möglich. Zudem änderten sich die Marktbedingungen in den 90er Jahren rasant. Farbfotografie ersetzte die Schwarzweißfotografie als dominierendes Gestaltungselement in der Reportagefotografie, und die Entwicklung des Internet hatte Auswirkungen, auf die hier wohl nicht extra eingegangen werden muss. Hatte das Fernsehen den großen illustrierten Magazinen wie LIFE oder Paris Match das Genick gebrochen, führte der Weg über die ersten Digitalkameras zur Handyfotografie und damit schnurstracks zu den Angeboten der Boulevardzeitungen an die „Leserreporter“, ihre Schnappschüsse gegen ein paar Euro zur Vermarktung freizugeben.
2015 hatten die laif-Gründer ihre Anteile im Juli 2015 an ddp images, welche ihrerseits im September 2021 von action press übernommen wurden, verkauft. action press verwaltet 110 Millionen Fotos und ist damit Deutschland größte Bildagentur.
2022 wurde mit der Gründung der laif Genossenschaft eG die ursprüngliche Agentur wieder in die Selbständigkeit geführt. In der Präambel zum Gründungsdokument heißt es unmissverständlich:
„Die laif Genossenschaft der Fotograf:innen versteht sich, durch die Sicherung, Förderung und die Weiterentwicklung der Agentur und Marke laif, als Institution zur Wahrung und Förderung eines unabhängigen Fotojournalismus, hochqualitativer Fotografie und der Pressevielfalt – einem Grundpfeiler der Demokratie“.
Die Rechtsform, die gewählt wurde, macht die Zeichner der Genossenschaftsanteile zu Mitbesitzern, die allerdings im Fall wirtschaftlicher Schieflage nur mit ihrem Anteil haften. Im Aufruf an die vertretenen Fotigrafinnen zur Mitgliedschaft in der Genossenschaft heißt es:
„Mit Sorge sehen wir die zunehmende Pressekonzentration einhergehend mit einem click-gesteuerten Journalismus, der Bilder nur noch zu möglichst billigen Konditionen nutzt. Daher bitten wir alle Fotograf:innen, die bislang von laif vertreten werden, Mitglieder der Genossenschaft zu werden und ihre Anteile bei der laif Genossenschaft zu zeichnen“.
Mit einem Beitrag von mindestens 1.000 EUR kann man Mitglied werden und hat damit auf der Eigentümerversammlung eine Stimme. Dadurch soll das demokratische Funktioneren von laif gesichert werden.
Am 29. Juni 2023 fand in Köln die erste Generalversammung statt. Unter anderem wurde der erste Aufsichsrat gewählt. Die leitenden Gremien sind folgendermaßen besetzt:
Vorstand: Christoph Bangert, Andreas Herzau und Manfred Linke. Der Aufsichtsrat besteht aus Simone Baers, Ingmar Björn Nolting (stellvertr. Vorsitzender),Patricia Kühfuss,Heiner Müller-Elsner und Berthold Steinhilber (Vorsitzender).
Ein Meilenstein in der Geschichte von laif ist die Gründung der laif foundation for independent photojournalism. Auf der Homepage werden die Ziele umrissen:
„Wir konzentrieren uns auf drei wesentliche Handlungsfelder:
Medienkompetenz fördern
Das zentrale Ziel der laif foundation ist es, die Gesellschaft mit mehr Medienkompetenz auszustatten, denn die Fähigkeit zur Informationsbeschaffung und Nachrichtenbewertung wird in der Demokratie immer wichtiger. Über das Medium Fotografie begeistern wir junge Menschen mit inspirierenden Bildungsangeboten und wecken so Interesse an kritischer Medienreflexion.
Fotojournalismus sichern
Als Ergänzung zu traditionellen Medien etablieren wir spannende und innovative Publikationsformen für fotografische Projekte, die sich den gesellschaftlich relevanten Zukunftsthemen wie Bildung & Gesundheit, Klimawandel, Diversity, Armut, sozialer Wandel, Demografie, Ressourcenknappheit, technische Innovationen oder Europäische Union auf differenzierte und konstruktive Weise widmen.
Ein Qualitätssiegel für die Herkunft und Glaubwürdigkeit von Bildern schaffen
In Kooperation mit der Content Authenticity Initiative (CAI) erarbeiten wir einen Standard für die nachvollziehbare Authentizität visueller Medien und schaffen, basierend auf einer Selbstverpflichtung von Autor:innen, eine unabhängige Instanz für Glaubwürdigkeit von Bildern – einem Grundpfeiler der Meinungs- und Pressevielfalt.“
Genaue Informationen findet ihr auf der oben verlinkten Seite.
Übrigens: Auch österreichische Fotografinnen können (und sollen!) Mitglieder der laif Genossenschaft werden.
Kurt Lhotzky
Beitragsbild: (c) David Klammer/laif.