2015 präsentierte die Galerie OstLicht Ren Hangs erste umfassende Einzelschau in Europa. Während seines Aufenthalts in Wien entstanden Arbeiten, die nun als Teil der außergewöhnlichen Ausstellung INSIDE VIEWS im WestLicht zum ersten Mal prominent zugänglich gemacht werden. Für meinen Geschmack hätte der Anteil sozialdokumentarischer Fotografie größer sein können, um die gesellschaftlichen Aspekte stärker zu beleuchten.
Begleitet wird dieser Teil der Ausstellung von einem umfangreichen Making-of, fotografiert von WestLicht-Direktor Peter Coeln, der Ren Hangs Fotoshooting im Wienerwald mit seiner Kamera festhielt und so einen einzigartigen Einblick in die Arbeitsweise des 2017 verstorbenen Ausnahmekünstlers aus China ermöglicht. Aus Anlass der Ausstellung erscheint die Dokumentation auch als Fotobuch in limitierter Auflage unter dem Titel Ren Hang at Work.
Die Ausstellung INSIDE VIEWS ist eine Kooperation mit der Alexander Tutsek-Stiftung, München, und der Galerie OstLicht, Wien. Mit Arbeiten von Chen Ronghui, Liang Xiu, Pixy Liao, Liu Ke und Huang Huang, Liu Tao, Luo Yang, Ren Hang, Silin Liu, Wang Bing und Zhang Huan.
Die Ausstellung ist bis zum 11.8.2014 im WestLicht zu sehen.
Historischer und sozialer Kontext
Die wirtschaftlichen Reformen, die unter Deng Xiaoping in den 1980er Jahren begonnen wurden, öffneten China für ausländische Investitionen und führten zur Schaffung einer kapitalistischen Marktwirtschaft innerhalb eines „sozialistischen Rahmens“. Vereinfacht gesagt, traf hier vom Standpunkt der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft das Beste (oder: Schlechteste) aus zwei Welten aufeinander. Einerseits entstand eine neue, dynamische imperialistische Macht, andererseits werden die daraus resultierenden sozialen Spannungen durch eine in der Massenrepression erfahrene „Kommunistische“ Partei mit harter Hand unterdrückt. Diese Reformen führten zu einer beispiellosen wirtschaftlichen Expansion, aber auch zu wachsender Ungleichheit und sozialen Spannungen. Fun fact: der Volkskongress, also die theoretisch höchste Instanz des politischen Systems, zählt weltweit die größte Anzahl an Milliarden zu seinen Abgeordneten. Seit den 1990er Jahren hat sich China zunehmend auf Exportproduktion und billige Arbeitskräfte verlassen, was zu einer massiven Verlagerung der ländlichen Bevölkerung in städtische Gebiete führte, wo sie oft unter prekären Bedingungen arbeiten mussten.
Die Arbeiterklasse ist das zentrale Subjekt in den Produktionsverhältnissen des Kapitalismus. In China hat die Expansion der industriellen Produktion zur Bildung einer riesigen Arbeiterklasse geführt, die oft unter prekären Bedingungen lebt und arbeitet. Diese Arbeiterklasse ist jedoch nicht homogen; sie besteht aus Wanderarbeitern, städtischen Arbeitern und Arbeitsmigranten, die alle unterschiedlichen Formen der Ausbeutung und Unterdrückung ausgesetzt sind.
Seit dem Jahr 2000 haben Streiks und Arbeitskämpfe in China sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrer Intensität zugenommen. Diese Kämpfe sind oft spontane Reaktionen auf schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, unbezahlte Überstunden und fehlende soziale Absicherung. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Streik bei Honda in Guangdong im Jahr 2010, bei dem Tausende von Arbeitern höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen forderten. Dieser Streik war einer der ersten großangelegten und öffentlichkeitswirksamen Arbeitskämpfe in China und inspirierte viele weitere ähnliche Aktionen im ganzen Land.
Beispiel Foxconn
Legendär wurden die Arbeitsniederlegungen, vor allem aber die Selbstmorder von Arbeirerinnen und Arbeitern in Foxconn-Niederlassungen in der VR China: das taiwanesisches Unternehmen ist einer der größten Elektronikhersteller der Welt und produziert für zahlreiche bekannte Marken, darunter Apple. Die Arbeitsbedingungen in den Foxconn-Werken, insbesondere in China, haben seit Jahren international Aufmerksamkeit erregt und sind Gegenstand zahlreicher Berichte und Untersuchungen.
Die Löhne in den Foxconn-Werken sind oft gering. Zwar wurden im Laufe der Jahre einige Erhöhungen vorgenommen, um den Mindestlohngesetzen und dem öffentlichen Druck gerecht zu werden, doch bleiben die Löhne häufig knapp über dem Existenzminimum. Viele Arbeiter sind auf Überstunden angewiesen, um ein akzeptables Einkommen zu erzielen.Die Arbeitszeiten in Foxconn-Werken sind notorisch lang. Berichte haben von Schichten von bis zu 12 Stunden und mehrmals sechs Tage die Woche gesprochen. Obwohl chinesische Arbeitsgesetze Überstunden. Die Arbeitsumgebung bei Foxconn ist von hohem Produktionsdruck geprägt. Arbeiter berichten oft von einer strengen Überwachung und einem intensiven Arbeitstempo, um die Produktionsziele zu erreichen. Viele der Aufgaben in den Foxconn-Werken sind monoton und erfordern lange Stunden des Stehens oder sich wiederholender Handgriffe, was zu körperlichen und psychischen Belastungen führt.Es gab Berichte über unzureichende Sicherheitsmaßnahmen, die zu Unfällen und Gesundheitsproblemen geführt haben. Dies umfasst sowohl körperliche Verletzungen als auch langfristige gesundheitliche Auswirkungen durch den Umgang mit gefährlichen Materialien.
Viele Arbeiter kommen aus ländlichen Gebieten und leben in den von Foxconn bereitgestellten Schlafsälen. Diese Unterkünfte sind oft überfüllt und bieten wenig Privatsphäre, was zu sozialer Isolation und psychischen Belastungen beitragen kann. Die psychischen Belastungen in den Foxconn-Werken sind gut dokumentiert. Hoher Druck, lange Arbeitszeiten und schlechte Arbeitsbedingungen haben zu zahlreichen Selbstmordfällen geführt, insbesondere in den Jahren 2010 und 2011. Dies führte zu internationaler Empörung und veranlasste Foxconn und Apple, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu versprechen.
In China gibt es nur eine legale Gewerkschaft, den Allchinesischen Gewerkschaftsbund (ACGB), der eng mit der Kommunistischen Partei verbunden ist und oft als Instrument zur Kontrolle der Arbeiterklasse dient. Unabhängige Gewerkschaften sind illegal und werden vom Staat stark unterdrückt. Trotz dieser Repression haben sich in den letzten Jahren zahlreiche inoffizielle Arbeiterorganisationen und Unterstützungsnetzwerke gebildet, die eine wichtige Rolle in den Arbeitskämpfen spielen.
Die Streiks und Arbeitskämpfe in China Ausdruck der Widersprüche des sich ausweitenden Kapitalismus. Die Expansion der industriellen Produktion und die Integration Chinas in die globale Wirtschaft haben zu einer Intensivierung der Ausbeutung der Arbeiterklasse geführt, was zwangsläufig zu Widerstand und Arbeitskämpfen führt. Diese Kämpfe sind jedoch nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, da sie die Herrschaft der Kommunistischen Partei und die Stabilität des Regimes in Frage stellen.
Zur Entwicklung der chinesischen Fotografie seit 2000
Wie im Rest der Welt hat die Digitalisierung auch die Fotografie in China revolutioniert. Die Verbreitung von Digitalkameras und Smartphones hat die Produktion und den Konsum von Fotografie massiv gesteigert. Diese Technologie hat es einer breiten Bevölkerungsschicht ermöglicht, am fotografischen Diskurs teilzunehmen. Chinesische Social-Media-Plattformen wie WeChat und Weibo spielen eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von Fotografien und fördern die Entstehung neuer visueller Kulturen.
China erlebt seit den 1990er Jahren eine beispiellose Urbanisierung. Fotografen wie Zhang Dali und Wang Qingsong haben diese Transformation dokumentiert und kommentiert. Zhang Dalí, bekannt für seine Serie „Demolition“, dokumentiert den Abriss alter Gebäude und den Bau neuer urbaner Strukturen, um die Spannungen zwischen Tradition und Moderne zu illustrieren. Wang Qingsong nutzt großformatige, inszenierte Fotografien, um die sozialen Auswirkungen der Urbanisierung und des Konsumdenkens darzustellen.
Chinas konzeptuelle und avantgardistische Fotografie hat international Aufmerksamkeit erregt. Künstler wie Ai Weiwei und RongRong & inri nutzen Fotografie, um kritische gesellschaftliche und politische Fragen zu stellen. Ai Weiwei verwendet Fotografie als Medium der Kritik und des Widerstands. Vor kurzem war in Wien in der Albertina Modern eine große Werkschau zu sehen, die sich auch ausführlich mit der Repression gegen den Künstler beshäftigte.
Die dokumentarische Fotografie in China hat eine wichtige Rolle bei der Darstellung der sozialen Realitäten gespielt. Fotografen wie Lu Guang und Sim Chi Yin konzentrieren sich auf Umweltprobleme, soziale Ungleichheiten und die Auswirkungen des wirtschaftlichen Wandels. Lu Guang hat durch seine Arbeiten über Umweltverschmutzung und die Lebensbedingungen von Arbeitern internationale Anerkennung gefunden, während die in Singapore geborene Sim Chi Yin in ihren Projekten das Leben an der Peripherie der chinesischen Gesellschaft beleuchtet.
Fotografie hat einen festen Platz in der zeitgenössischen chinesischen Kunstszene eingenommen. Große Museen und Galerien in Peking, Shanghai und anderen Städten haben Ausstellungen mit einheimischen und internationalen Fotografen veranstaltet. Das Three Shadows Photography Art Centre in Peking, gegründet von RongRong und inri, ist ein bedeutendes Zentrum für zeitgenössische Fotografie in China und fördert den Austausch zwischen chinesischen und internationalen Künstlern. Allerdings sind Ausstellungen zeitgenössischer Fotografie nach wie vor Gratwanderungen. Zum Außenbild des „modernen“ China gehört auch ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit. Die Behörden wachen jedoch aufmerksam darüber, was gezeigt werden darf und was nicht.
In diesem Spannungsfeld leben und arbeiten auch etliche der derzeit im WestLicht zu sehenden chinesischen Künstlerinnen und Künstler. Das Spektrum der gezeigten Arbeiten ist groß, daher habe ich auch sehr unterschiedliche Zugänge zu den einzelnen gezeigten Werken. Ren Hangs (siehe weiter unten) Fotografien finde ich technisch spannend, und die provokanten Absichten hinter seinem Schaffen ebenfalls. Ähnlich geht es mir mit Zhang Huans Fotos – bei einer übrigens ganz ausgezeichneten Führung mit WestLicht-Kurator Fabian Knierim und Kunstvermittlerin Nathalie Neubauer wurde bei seinem Werk auf bestimmte Ähnlichkeiten mit den Arbeiten der Wiener Aktionisten hingewiesen.
Mir ist dieser „Performance-Ansatz“ zu Ich-bezogen. Ich beschränke mich im ersten Teil dieser Ausstellungsbesprechung auf eine ausführlichere Behandlung Ren Hangs, da sein Werk wesentlich zur Realisierung der jetzigen Ausstellung beitrug. Ohne dadurch den Wert der anderen ausgestellten Künstler*innen und Künstler herabwürdigen zu wollen, werde ich mich or allem mit Wang Bing und Cheng Rongrui beschäftigten, da mir deren Werk sozial relevanter erscheint.
Ren Hang – der tragische Provokateur
Ren Hang (1987-2017) war ein chinesischer Fotograf und Dichter, der durch seine provokativen und kontroversen Arbeiten internationale Bekanntheit erlangte. Seine Fotografien, oft nackt und erotisch, hinterfragen traditionelle Werte und Normen und mussten damit zwangsläufig in einem Staat anecken, der über ein System von „Sozialkreditpunkten“ die Willfährigkeit seiner Bürgerinnen und Bürger belohnt – oder bestraft.
Ren Hang wurde 1987 in der Stadt Changchun in der Provinz Jilin geboren. Er begann seine Karriere als Fotograf, während er Werbung an der Universität in Peking studierte. Ohne formale Ausbildung in der Fotografie und angetrieben von einem starken kreativen Impuls, begann er, seine Freunde in intimen und oft unkonventionellen Posen zu fotografieren.
Ren Hangs Fotografien zeichnen sich durch ihre Minimalistik und die Verwendung kräftiger Farben aus. Häufig in natürlichen Umgebungen oder in spartanischen Innenräumen aufgenommen, legen seine Arbeiten großen Wert auf den menschlichen Körper und dessen Ausdrucksmöglichkeiten. Seine Modelle, oft nackt und in ungewöhnlichen Posen, brechen bewusst mit traditionellen Vorstellungen von Scham und Anstand.
Ein wiederkehrendes Thema in Ren Hangs Werk ist die Sexualität, die er auf eine Weise darstellt, die sowohl zärtlich als auch herausfordernd ist. Durch die Betonung von Körperlichkeit und Intimität zielt er darauf ab, die Normalität der menschlichen Sexualität zu feiern und die Grenzen der Zensur und Moral zu hinterfragen.
Ren Hangs Arbeiten stießen in China auf erheblichen Widerstand. Seine Fotografien wurden aufgrund ihrer expliziten Natur und ihres Tabubruchs häufig zensiert, und Ren Hang selbst wurde mehrmals verhaftet. Trotz dieser Schwierigkeiten setzte er seine Arbeit fort und wurde zu einem Symbol für künstlerische Freiheit und Widerstand gegen die staatliche Unterdrückung.
Im Westen hingegen wurden seine Arbeiten weitgehend gefeiert und auf internationalen Ausstellungen gezeigt. Ren Hangs Werk wurde in renommierten Galerien und Museen ausgestellt, darunter das Foam Fotografiemuseum in Amsterdam und die Fotografiska in Stockholm.
Neben der Fotografie war Ren Hang auch als Dichter tätig. Seine Gedichte handeln von Liebe, Schmerz und der Suche nach Bedeutung in einer unsicheren, instabilen Welt. Ren Hang litt unter schweren Depressionen, was sich in vielen seiner Arbeiten widerspiegelt. Im Februar 2017, im Alter von nur 29 Jahren, nahm sich Ren Hang das Leben. Sein Tod löste weltweit Bestürzung und Trauer aus.
Warum bildet Ren Hangs Werk eine wesentliche Achse der Ausstellung „Inside Views“? Dazu ein Auszug aus dem Pressetext von WestLicht:
„2015 präsentierte die Galerie OstLicht Ren Hangs erste umfassende Einzelschau in Europa. Während seines Aufenthalts in Wien entstanden Arbeiten, die nun als Teil der Ausstellung INSIDE VIEWS zum ersten Mal prominent zugänglich gemacht werden. Begleitet wird die Serie von einem umfangreichen Making-of, fotografiert von WestLicht-Direktor Peter Coeln, der Ren Hangs Fotoshooting im Wienerwald mit seiner Kamera festhielt und so einen einzigartigen Einblick in die Arbeitsweise des 2017 verstorbenen Ausnahmekünstlers aus China ermöglicht. Aus Anlass der Ausstellung erscheint die Dokumentation auch als Fotobuch in limitierter Auflage unter dem Titel Ren Hang at Work“.
Chen Ronghui – der Augenzeuge der Veränderung
Chen Ronghui ist Fotograf und Fotojournalist. Seine Arbeiten sind tiefgründige Auseinandersetzungen mit sozialen und ökologischen Themen. Bekannt für seine dokumentarischen Projekte, die oft die Auswirkungen des schnellen wirtschaftlichen Wandels in China beleuchten, hat Chen in kurzer Zeit internationale Anerkennung erlangt.
Chen Ronghui wurde 1989 in China geboren. Er begann seine fotografische Karriere relativ früh und entwickelte schnell ein Interesse an dokumentarischer Fotografie. Nach seinem Studium an der School of Visual Arts in New York City kehrte er nach China zurück, um sich auf Projekte zu konzentrieren, die die sozialen und ökologischen Veränderungen in seinem Heimatland dokumentieren.
Bestechend an Chen Ronghuis Arbeiten sind die geradezu strenge Komposition und ein subtiler Einsatz der Farbe.Er zeigt die Auswirkungen der rasanten Urbanisierung und Industrialisierung in China und erzählt die Geschichten der Menschen, die von diesen Veränderungen betroffen sind.
Ein zentrales Thema in Chens Werk ist die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Seine Serie „Petrochemical China“ dokumentiert die Umweltauswirkungen der petrochemischen Industrie auf ländliche Gemeinschaften in China. Diese Arbeiten zeigen eindrucksvoll die schädlichen Folgen industrieller Verschmutzung und werfen Fragen zur Nachhaltigkeit und den sozialen Kosten des wirtschaftlichen Wachstums auf.
Eines seiner bekanntesten Projekte ist „Freezing Land“, das sich mit dem Phänomen der Geisterstädte in China beschäftigt. Einige Fotos aus diesem Projekt sind im WestLicht zu sehen. Diese Serie dokumentiert verlassene und halbfertige Städte, die im Zuge der Urbanisierung entstanden sind, aber aufgrund von wirtschaftlichen Fehlplanungen oder spekulativen Immobiliengeschäften aufgegeben wurden. Chens mitunter melancholische Fotografien zeigen die Leere und den Verfall dieser städtischen Räume und was diese mit den dort verbliebenen Menschen machen.
Ein weiteres großes Projekt Chens ist „Yellow River“, in dem er das Leben entlang des Gelben Flusses dokumentiert. Der Gelbe Fluss, oft als „Wiege der chinesischen Zivilisation“ bezeichnet, ist heute stark von Umweltverschmutzung und Klimawandel betroffen. Chens Fotografien zeigen die alltäglichen Kämpfe und die Widerstandskraft der Menschen, die in dieser Region leben. Zugleich wird der Betrachter aufgefordert, für sich selbst zu entscheiden: welcher Preis ist für Industrialisierung und Wirtschaftswachstum gerechtfertigt? Wie lange sind wir bereit, vor den Auswirkungen der Umweltzerstörung im Interesse des Profits die Augen zu verschließen?
Chen Ronghuis Arbeiten haben ihm zahlreiche internationale Auszeichnungen eingebracht. Er wurde unter anderem mit dem World Press Photo Award und dem Magnum Foundation Emergency Fund ausgezeichnet, unter anderem das New York Times Magazine, TIME, und National Geographic veröffentlichten seine Fotos.
Wang Bing – erschreckende Einblicke
Wang Bing ist Dokumentarfilmer und Fotograf. Seit den frühen 2000er Jahren hat Wang Bing durch seine Filme und Fotografien eine einzigartige visuelle Sprache entwickelt, die das alltägliche Leben und die sozialen Realitäten der chinesischen Gesellschaft erfasst.
Wang Bing wurde 1967 in Xi’an, in der chinesischen Provinz Shaanxi, geboren. Er studierte Fotografie an der Luxun Academy of Fine Arts und Film an der Beijing Film Academy. Seine Ausbildung und sein Interesse an der dokumentarischen Praxis legten den Grundstein für seine spätere Karriere als Filmemacher und Fotograf.
Wang Bings Arbeiten zeichnen sich durch einen unverblümten und oft minimalistischen Ansatz aus. Seine Dokumentarfilme sind bekannt für ihre Länge und ihre intensive Beobachtung des Alltagslebens. Wang verwendet oft lange, ungeschnittene Einstellungen, die den Betrachter in die Welt seiner Protagonisten eintauchen lassen. Ein zentrales Thema in Wang Bings Werk ist das Leben der marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Er dokumentiert die Geschichten derjenigen, die oft übersehen oder ignoriert werden – Arbeiter, Bauern, Wanderarbeiter und Obdachlose. Durch seine einfühlsame und respektvolle Herangehensweise gibt er diesen Menschen eine Stimme und bringt ihre Geschichten ans Licht.
Interessierte können im Internet Beispiele für Wang Bings Schaffen finden, zum Beispiel Tie Xi Qu: West of the Tracks (2003), eines seiner bekanntesten Werke. Der neunstündige Dokumentarfilm Film, der in drei Teile unterteilt ist, dokumentiert den Niedergang des Industriestandorts Tie Xi in Shenyang, einer ehemaligen Hochburg der Schwerindustrie. Durch die Augen der Arbeiter und Bewohner zeichnet Wang Bing ein eindringliches Bild der sozialen und wirtschaftlichen Transformation in China. Vergleicht man Bings Film mit Aufnahmen aus dem Detroit der Gegenwart sieht man, wie ähnlich die Schicksale der Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit sind.
In Three Sisters richtet Wang Bing seinen Fokus auf das Leben dreier junger Mädchen in einem abgelegenen Dorf in der Provinz Yunnan. Der Film zeigt ihren Alltag, der von harter Arbeit und Armut geprägt ist, aber auch ihre Widerstandsfähigkeit und ihren Zusammenhalt.
Dead Souls ist ein erschütternder achtstündigen Dokumentarfilm über das Schicksal von Überlebenden der Kampagne gegen „die Rechten“ Ende der 50er Jahre. Über eine Million Menschen wurden damals in Zwangsarbeitslager in der Wüste Gobi geschickt, weil sie dem mao-stalinistischen System suspekt waren.
Wang Bings fotografischen Arbeiten spiegeln dieselben Themen und Ansätze wider wie seine Filme. Sie dokumentieren das Alltagsleben und die Kämpfe der einfachen Menschen in China und zeichnen sich durch eine ähnliche ästhetische und erzählerische Tiefe aus.
Zusammenfassend: INSIDE VIEWS ist eine außergewöhnliche und komplexe Ausstellung. Interessierte sollten auf der Homepage von WestLicht checken, ob und wann es die nächste Führung gibt – wie erwähnt bieten Kurator Fabian Knieriem und Kunstvermittlerin Nathalie Neubauer spannende und fundierte Informationen zur Ausstellung, zu den Künstler*innen und deren Werken.
Triggerwarnung (hihi, endlich habe ich auch sowas!): Wer sich durch Nacktheit und ziemlich explizite sexuelle Darstellungen erschrecken lässt, sollte bis Ausstellungsende die Westbahnstraße eher meiden!
Kurt Lhotzky