Am 8. September 2023 wurde durch ein hochkarätig besetztes Symposium das Open Your Eyes Fotofestival Zürich eröffnet. Ich habe bereits in einem anderen Beitrag die Eckdaten des Festivals vorgestellt. Kurz zusammengefasst: rund um die von der UNO definierten 17 Nachhaltigkeitsziele findet im öffentlichen Raum in Zürich eine gemeinsame Leistungsschau von Fotografie und Wissenschaft statt. In welcher Form eine künstlerische Disziplin mit hauptsächlich naturwissenschaftlichen Erkenntnissen unter einen Hut zu bringen ist, inwieweit sich beide Stränge ergänzen (können) war eines der Themen des Symposiums.
Nach dem Festivalpräsidenten Hansruedi Strasser und dem Gastgeber Christian von Rechenberg (die Eröffnung fand im Hotel Baur au Lac statt) referierte der Rektor der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), Günther Dissertori, über die Motivation seiner Universität, an diesem Projekt mitzuwirken. Bereits seit 53 Jahren sei das, was heute als „Nachhaltigkeit“ gepriesen wird, Forschungsgegenstand der ETH. Gerade bei den großen Zukunftsthemen der Menschheit sei die Verflechtung von Forschung und Lehre essenziell. Aufgabe der ETH sei es unter anderem, die Forderung nach lebenslangem Lernen praktisch umzusetzen. So werde seit einiger Zeit mittelns der Impact of Education-Initiative versucht, die Erziehungserfolge zu messen. Fotografie und Wissenschaft hätten einen gemeinsamen Nenner: die Neugier. Die Zusammenarbeit im Rahmen des Open Your Eyes Festivals entspräche genau seinem Grundsatz, dass sich Wissenschaft öffentlich präsentieren müsse.
Daniel Dubas, ARE-Beauftragter des Schweizerischen Bundesrates für die Agenda 2030 referierte kurz über die Entstehungsgeschichte der Agenda. Noch immer seien die Mitgliedsstaaten weit von der Erreichung der angesprochenen Ziele entfernt. Auch wenn die Problemstellungen der 17 SDGs komplex seien, sei er trotzdem optimistisch: „There is hope“.
Vor den Keynotes stellte Lois Lammerhuber nochmals das Konzept des Festivals vor. Für ihn ein besonderer Grund zur Freude: Mitten in der Nach, besser: in den frühen Morgenstunden habe er die Mitteilung erhalten, dass auch die letzten Bilder platziert worden sind. Völlig zu Recht konnte der Fotograf und Verleger auf den Ausstellungskatalog verweisen, der – ganz im Sinne einer nachhaltigen Projektplanung – auf Graspapier (VIVUS Grass Paper) gedruckt wurde.
Spoilerwarnung: Man kann den Katalog natürlich auch über den Buchhandel beziehen – er ist sowohl aufgrund der intelligenten Texte als auch der hervorragenden Fotos eine ganz, ganz große Empfehlung. Wer Fotobücher auch als Sammlerstücke zu schätzen weiß sollte unbedingt zugreifen, solange es Exemplare gibt!
Im Think Tank zur Vorbereitung des Festivals in Zürich finden sich überproportional viele US-amerikanische Fotograf*innen. Lois Lammerhuber ist sich dessen bewusst. Der Hintergrund ist aber einfach erklärt: Auch unter den ausstellenden Forograf*innen finden sich zahlreiche Mitarbeiter*innen von „National Geographic“, und das ist nun einmal ein amerikanisches Magazin. Und es ist jenes Magazin, das teilweise jahrelange Fotoprojekte ermöglicht und deren Qualität einer strengen Prüfung unterzieht.
Keynote-Speaker James Balog ist einer derjenigen, dessen Langzeitprojekt über das Abschmelzen verschiedener Gletscher unter anderem in „National Geopgraphic“ vorgestellt wurde. Sein Projekt Extreme Ice Survey beruht auf einer Serie von Time Lapse-Cameras, die in kurzen Abständen die Veränderung der Gletscher sichtbar macht. Erschreckend und beeindruckend, in wie kurzer Zeit riesige Flächen „eisfrei“ werden. Für den Dokumentarfilm „Chasing Ice“ wurde Balog übrigens mit dem Award for Execellence in Cinematography des Sundance Filmfestivals ausgezeichnet. Was Balogs Vortrag besonderes Gewicht verlieh: er verkörpert selbst perfekt die Synthese von Fotografie und Wissenschaft, studierte er doch Geographie und Geomorphologie und machte an der University of Colorado den Masterabschluss.
Emotional aufrüttelnd dann Pulitzerpreisträgerin Renée C. Byer, die ihr Projekt „Living on a Dollar a Day“ vorstellte. Ihre Fotos von armen Menschen, und vor allem armen Kindern, konnten niemanden im festlichen Saal des Baur au Lac kalt lassen. Und arm heißt in diesem Zusammenhang wirklich arm. Nicht nach unseren westlichen Standards. Byer hat Dinge gesehen und fotografiert, die herzzerreißend sind. Wer kann sich vorstellen, was es für eine indische Mutter bedeuten muss, darüber zu entscheiden, welches Kind sie verhungern lassen muss, um die anderen am Leben erhalten zu können? Wer kann sich das Leben von Kindern in Ghana vorstellen, die den Elektroschrott durchwühlen, der als Abfallprodukt der entwickelten Ländern das Land vergiftet?
Die Pause vor der Podiumsdiskussion mit Shana ParkeHarrison (Fotokünstlerin), Paolo Burlando (ETH Zürich), Effy Vayena (ETH), dem Fotografen und Meeresbiologen Randy Olson und Christian Wilbers (CEWE) verlief in entsprechend gedämpfter Atmosphäre. Die starken Bilder der Keynotes wirkten einfach nach …
Moderiert von Claudia Zingerle (ETH) behandelten die Teilnehmer*innen ihren Zugang zur Themenstellung von Open Your Eyes. Letzten Endes rückte immer stärker ein Thema in den Fokus, nämlich die komplementären Möglichkeiten von Fotografie und Wissenschaft, Veränderungen anzustoßen.
Soweit ein erster Blick auf das Open Your Eyes-Fotofestival. Der nächste Bericht wird die einzelnen Stationen der Freiluftausstellung behandeln. Und natürlich werde ich auch versuchen, das eine oder andere Hintergrundgespräch mit Fotograf*innen, die an diesem bemerkenswerten Projekt mitwirken, zu führen.