Die zahlenmäßige Erfassung ist nicht exakt, aber immer wieder finden sie den Weg in die Schlagzeilen – die tödlichen Unfälle beim Knipsen eines Selfies. Unbestritten geblieben ist jedenfalls die Aussage des indischen „Journal of Family Medicine and Primary Care„, der zu Folge zwischen Oktober 2011 und November 2017 weltweit mindestens 259 Personen bei Selfie-Aufnahmen ums Leben gekommen sind. Im gleichen Zeitraum hätten Haie bloß 50 Mal bei Menschen zugeschnappt.
Spektakuläre Videos dazu finden sich auch auf youtube – häufig sind abenteuerlustige Selfie-Fotograf*innen ja nicht allein unterwegs, sondern lassen für tiktok oder andere mehr oder minder soziale Netzwerke Freund*innen ihre teilweise akrobatischen Fotoactions videografieren.
Eine wahre Todesfalle scheint der Grand Canyon (USA) zu sein. Auf Platz 1 der Ursache für tödliche Unfälle rangiert das Fotografieren. Allerdings sind dort bei weiten nicht alle Unfälle auf die Selfiemania zurückzuführen. Erst Anfang August stürzte ein 20jähriger Student, Abel Joseph Mejia, etwa eine Viertelmeile vom Pipe Creek Overlook, dem ersten Aussichtspunkt entlang der South Entrance Road des Parks, 400 Fuß tief in den Tod. Er dürfte den besten Platz für ein Panoramafoto gesucht haben.
Was wie skurriles und makaberes nutzloses Wissen klingt, sollte allen, die mit der Kamera unterwegs sind, zu Denken geben. Auch in Österreich kann man durch Unachtsamkeit ums Leben kommen, wie ein Todessturz am Dobratsch 2019 zeigte.
Tatsächlich – wer hat noch nicht beim faszinierten Blick durch den Sucher oder auf das Display seiner Kamera einen „Fehltritt“ begangen? Meistens gehen solche Situationen ja harmlos aus, und mit einem leicht gezwungenem Lachen und und einer flapsigen Bemerkung wird später davon berichtet.
Keineswegs soll dieser Beitrag die Freude am „riskanten“ Motiv trüben – er soll vielmehr ein Appell dafür sein, auch in der atemberaubendsten Szenerie an sich und seine Mitmenschen zu denken. Jeder Fotounfall verursacht Kollateralschäden – nicht nur die psychischen Folgen für Angehörige oder Freund*innen. In unwegsamen Gelände, manchmal unter schlechten Wetterverhältnissen, sind Rettungskräfte im Einsatz, um das Unfallopfer zu bergen. Oft genug müssen die Helfer*innen selbst große Risiken eingehen.
Einen sehr brauchbaren Überblick über Unfallvermeidung beim Fotografieren findet ihr auf dieser Seite (in englischer Sprache). Was auf den ersten Blick banal klingen mag, kann im „entscheidenden Moment“ (Copyright Henri Cartier-Bresson) lebensrettend sein: die Umgebung, in der man fotografiert, genau untersuchen; nicht in der Bewegung, also beim Gehen, fotografieren; nicht direkt in die Sonne schauen (Blendungsgefahr und Folgerisiken); Bewusstsein entwickeln, dass man sich auch mit einem Kameragurt strangulieren kann; statt Turnübungen zu machen ein Stativ verwenden; durch Verwendung entsprechender Objektive Abstand zu potentiell gefährlichen Tieren oder Objekten halten.
Übrigens, um nochmals darauf zurück zu kommen: die große Mehrheit der Selfies werden von Frauen gemacht. Die Statistik der Todesfälle dabei führen aber unangefochten seit Jahren Männer. Woran das wohl liegen mag?
Kurt Lhotzky