Ein etwas wärmeres Wetter hätte sich die FOTO WIEN für den Eröffnungstag – den 9. März 2022 – verdient. Von 9. bis 27. März ist Wien die österreichische, vielleicht sogar europäische, Fotostadt. Mehr als 140 Ausstellungen und 300 Veranstaltungen – Bildbesprechungen, Vorträge, Führungen, Symposien – gibt es in diesem Jahr. Nicht einmal eine multiple Persönlichkeit könnte das im Alleingang schaffen …
Die Eröffnung fand im Ausstellungszentrum im Atelier Augarten in der Scherzerstraße im 2. Wiener Gemeindebezirk statt. Der Gebäudekomplex aus den 50er Jahren war die Wirkungsstätte des Bildhauers Gustinus Ambrosi und ist ein perfekter Rahmen für das „Herz“ der FOTO WIEN. Große Ausstellungsräume, mitunter etwas verwinkelte Seitenbereiche und ein Garten, der ebenfalls für Exponate genutzt wird, schaffen eine offene Atmosphäre. Trotz der Fülle der gezeigten Werke fühlt sich die Betrachterin oder der Betrachter nicht erschlagen.
Zwei Schwerpunkte setzt die Kuratorin Verena Kaspar-Eisert im Ausstellungszentrum: „Fotografinnen im Fokus“ und „Rethinking Nature/Rethinking Landscape“. Das erste Thema hat in den vergangenen Jahren für einige Aufregung gesorgt – im positiven Sinn. So gab es in Frankreich eine breite öffentliche Diskussion um das große internationale Fotofestival in Arles, bei dem über lange Jahre hinweg erschreckend wenige Werke von Fotografinnen gezeigt wurden. Der Beitrag von Fotografinnen lässt sich nicht auf Lee Miller, Madame d’Ora, Margaret Bourke-White, Gerda Taro oder Eve Arnold reduzieren. Wenn man Plattformen wie Instagram oder Flickr als „open source portfolios“ betrachtet, wird man erfreulich viele Fotografinnen finden. Im „offiziellen“ Kunstbetrieb und am Fotobuchsektor schlägt sich die weibliche Präsenz aber erst langsam nieder.
„Rethinking Nature/Rethinking Landscape“ ist ein ebenso brennendes Thema – buchstäblich, wenn wir an die Brände in den brasilianischen Regenwäldern denken. Seitedem Menschen mit Licht „gemalte“ Bilder festhalten konnten, war die Natur immer ein wesentliches Thema. Und sei sie nur als Hintergrund für Porträts oder Konzeptkunst sichtbar gewesen. Fotografien können nicht nur „Momentaufnahmen“ sein, sie können Veränderungen zeigen und komplexe Strukturen verständlich machen.
Details zu den Fotografinnen und Fotografen finden sich auf der Homepage der FOTO WIEN – ich kann mir daher Details für diesen ersten Überblick sparen.
Was sind meine „Musts“ bei dieser FOTO WIEN? Also mit Sicherheit das Fotobuch-Wochenende vom 25. – 27. März im Ausstellungszentrum. Neben dem Photobook Market gibt es am 26. März um 18:00 Uhr die Verleihung des Photobook Awar 2022. Prämiert werden die drei besten Fotobücher, die seit 2019 erschienen sind (natürlich eine subjektive Auswahl, eh klar). Gespannt bin ich auf das Gespräch zur Fotogeschichtsforschung in Österreich zwischen Rainer Iglar und Monika Faber. Am 26. März präsentiert Vreni Hockenjos „Beyond the Margins: On Photobooks by Women“. Das lasse ich mir sicher auch nicht entgehen.
Bei den Ausstellungen bin ich derzeit noch von der Fülle des Angebots erschlagen – sicher auf meiner Liste steht aber die große Eve Arnold-Ausstellung im Ostlicht und FOTOGRAFIE EINE AUSWAHL in der Galerie Hummel.
Einige Zeit werde ich im Ausstellungszentrum sicher für Anastasia Mityukovas „Project Iceworm“ aufwenden, die fotografische Aufarbeitung eines US-amerikanischen Projekts während des KKalten Kriegs. Im Norden Grönlands sollte unter der Eisfläche eine Raketenabschussbassis errichtet werden. Die dort ansässigen Inuit wurden umgesiedelt. Durch den Klimawandel besteht die Gefahr, dass radioaktive Abfälle, die im Eis verbuddelt wurden, langsam nach oben kommen. Mityukova hat ein Archiv von mehr als 6.000 Fotos, Zeitungsartikeln, Internetberichten … angelegt, das die Besucherinnen und Besucher selbst arrangieren und kategorisieren und darausein eigenes kleines booklet aus dem Archivmaterial gestalten können. Eine faszinierende Idee.
Mehr Infos zur FOTO WIEN und Impressionen von Ausstellungen und Veranstaltungen wird es hier auf complexityinaframe.com den ganzen März hindurch geben.