Bereits zum siebenten Mal ist Baden bei Wien Ausstellungsort für das europaweit größte Foto-Open-Air-Festival „La Gacilly Baden Foto“ (inklusive der Bersucher*innen in Frankreich). Wieder ist es dem Team um Festivaldirektor (und Festivalgründer) Lois Lammerhuber, der Kaufmännischen Direktorin und Verantwortlichen für Internationale Beziehungen Silvia Lammerhuber sowie der Künstlerischen Leiterin Florence Drouhet gelungen, eine einzigartige Ausstellung zu gestalten, die zeigt, was Fotografie ist, was sie sein kann und was sie sein sollte.
Stellvertretend für die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien hier Johanna Reithmayer (Koordination und Pressebetreuung), die für die Ausstellungsplanung und IT zuständigen Martin Ackerl und Birgit Hofbauer, der Obergärtner im Rosarium Ermin Hadzic und die Übersetzer*innen Felix Mayer und Natalie Maupetit genannt und bedankt – ohne sie und ihr Engagement wäre ein Festival dieser Größenordnung gar nicht zu verwirklichen. All jene, die hier namentlich nicht genannt sind – darunter natürlich auch alle Mitarbeiter*innen der Stadt Baden – können sicher sein, dass ihre Leistung nicht geringer geschätzt wird als jene der Genannten.
Wie sehr das Konzept von La Gacilly Baden Foto eingeschlagen hat, belegen die eindrucksvollen Besucher*innenzahlen: 2023: konnten 268.840 Besucher*innen gezählt werden, gegenüber 240.070 im Vorjahr. Dazu kommen noch jene Interessent*innen, die „Exposituren“ der Ausstellung in Tulln und Bratislava besucht haben.
Das Festival La Gacilly Baden Foto hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Schönheit der Natur mit den Mitteln der Fotografie für zukünftige Generationen zu bewahren. Unter dem Motto WELT.NATUR.ERBE widmet es sich den drängenden globalen Herausforderungen wie Urbanisierung, Artenvielfalt und Klimawandel. Durch die Werke führender Umweltfotografen soll das Bewusstsein geschärft und zum Nachdenken angeregt werden.
In diesem Jahr werden in Baden die Arbeiten renommierter Fotograf*innen wie Nazli Abbaspour, Evgenia Arbugaeva, Yasuhoshi Chiba, Joana Choumali, David Doubilet und Jennifer Hayes, Nadia Ferroukhi, Sacha Goldberger, Richard Ladkani, Lucas Lenci, Luca Locatelli, Pascal Maitre, Beth Moon, Maxime Riché, Alain Schroeder, Vee Speers, Brent Stirton, Lorraine Turci, David Turnley, Peter Turnley und Cássio Vasconcellos gezeigt. Ihre Fotografien fangen die Zerbrechlichkeit und zugleich die immense Schönheit unserer Welt ein und laden uns dazu ein, über unseren Umgang mit der Natur nachzudenken. Es sind Werke, die in vielfältiger Weise berühren. Von subtilem Humor bis zum grimmigen Erschauern über die Verbrechen, die der Natur und den Menschen angetan werden, reichen die möglichen Reaktionen bei den Betrachter*innen.
Cyril Drouhet betont in seinem Essay im Ausstellungskatalog, dass die einstige Hoffnung und der Fortschrittsglaube einer tristen Realität gewichen sind, und fordert, dass das Leben wieder mit der inspirierenden Kraft der Fotografie erleuchtet wird. Das Festival sieht darin seine zentrale Aufgabe und Herausforderung für die kommenden Jahre.
Wie immer gibt es ein bilaterales Fotoprojekt, das Schülern aus der Bretagne und Niederösterreich die Möglichkeit gibt, ihre Vorstellungen von einer nachhaltigen Zukunft unter dem Thema „Die Natur als Erbe“ zu präsentieren. Diese Initiative soll junge Menschen dazu anregen, über gesellschaftliche Modelle nachzudenken, die unsere Welt für kommende Generationen bewahren. In Übereinstimmung mit Jane Goodalls Überzeugung, dass wir die Wahl haben, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ehrt das Festival Martin Parr, einen Fotografen, der menschliche Lichtblicke in seinen oft humorvollen und ironischen Alltagsaufnahmen festhält, mit dem erstmals vergebenen Lifetime Achievement Award.
Besonders hinweisen möchte ich auf zwei aus gutem Grund benachbarte Ausstellungen: Sebastiao Salgados „Amazonia“ und Richard Ladkanis „Tage des Feuers“.
Salgado bereiste sechs Jahre lang das brasilianische Amazonasgebiet. Seine unverwechselbaren Bilder des Regenwalds, der vielfältigen Landschaften und der Menschen, die dort leben, sind bleibende Dokumente eines Teils der Erde, von dem ganz wesentlich unser aller Überleben abhängt. Im Vorwort zum im Taschen-Verlag erschienen Buch „Amazonia“ schreibt Salgado:
In Baden sind Fotos zu sehen, die bei Salgados Begegnungen mit den Angehörigen indigener Völker entstanden sind. Die Yanomami, Asháninka, Yawanawá, Suruwahá, Zo’é, Kuikuro, Korubo, Macuxi und viele andere werden von geld- und goldgierigen Spekulanten, Großgrundbesitzern und ihre Todesschwadronen mit Hilfe korrupter Politiker in ihrer Existenz bedroht. Salgado zeigt, wie sie leben, wie ihre Gemeinden zusammenhalten, wie sie gemeinsam feiern und jagen – unschätzbare Dokumente, von einem der ganz Großen der Fotografie mit Sensibilität und Respekt festgehalten.
Gleich daneben kann man Fotos aus dem Projekt „Tage des Feuers“ des österreichischen Filmemachers und Fotografen Richard Ladkani sehen. Brasilianische Großgrundbesitzer und Viehzüchter hatten den 10. August 2019 zum „Tag des Feuers“ erklärt und mit einem Massaker am Regenwald begonnen, das in den Massenmedien oft euphemistisch „Brandrodung“ genannt wird. 25.000 Quadratkilometer Regenwald wurden allein im Monat August 2019 zerstört.
Angst vor Bestrafung brauchten die Täter nicht zu haben – der damals amtierende faschistische Präsident Jair Bolsonaro hatte schon im Wahlkampf klar gesagt, dass er keineswegs gegen die Vernichtung der Regenwälder (und der dort lebenden Menschen) vorgehen würde.
Ladkani, der für Filme wie A Powerful Noise, Killerflu, The Most Secret Place on Earth oderJane’s Journey zahlreiche internationale Auszeichnungen erhielt, arbeitet jetzt an einer Dokumentation über den Kampf der brasilianischen Umweltschutzbehörde, die unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva mit harter Hand gegen die Umweltverbrecher vorgeht. Im Zentrum: die illegalen Goldminen und die gigantischen Hochseeschiffe, in denen mit Hilfe von hochgiftigem Quecksilber Gold aus dem Amazonaswasser gewonnen wird – das vergiftete Abwasser wird zurück gepumpt, mit verheerenden Auswirkungen für die dort lebenden Indigenen und die Umwelt.
Vermutlich wird jede Besucher*in von einem anderen Thema besonders angesprochen. Hier meine Favourites: Da ist zunächst die Fotostrecke „Rettet die Orang-Utans“ des belgischen Fotografen Alain Schroeder. Auf Sumatra dokumentiert er den Kampf um die Rettung der von der Ausrottung bedrohten Menschenaffen. Seine Bilder zeigen die aufopfernde Tätigkeit der Mitarbeiter*innen einer Rettungsstation. Herzzerreißend die Blicke in die weisen und traurigen Augen der Orang-Utans, denen Menschen aus Gier unsagbares Leid zufügen.
Ausgesprochen amüsant hingegen die Werke des Franzosen Sasha Goldberger, in Baden vertreten mit „Alien Love“. Was man sich darunter vorstellen kann? „Was wäre, wenn die Erde in den 1950er Jahren wirklich von Roswell und einem Haufen Kochutensilien angegriffen worden wäre? Die Männer leisten keinen Widerstand: Sie werden mithilfe eines Föhns in Kakteen verwandelt und überlassen das Feld dem Außerirdischen, der entschlossen ist, mit allen Frauen, die er trifft, Verbindungen einzugehen.“
Goldberger, der unter anderem mit seinem Projekt The Lady Does Not Vanish Maßstäbe gesetzt hat (ikonische Bilder aus Hitchcock-Filmen werden „mit verkehrter“ Rollenverteilung nachgebaut, den männlichen Part übernehmen die Darstellerinnen und vice versa), zeigt mit skurrilem Humor, was die Folge des Raubbaus an der Natur sein könnte. Unbedingt sehenswert!
Ein weiteres Highlight der Ausstellung sind die Werke von Norbert Span, der uns mit seinen faszinierenden Aufnahmen in die magische Welt der Schneekristalle entführt. Diese „Juwelen des Himmels“ offenbaren eine filigrane Schönheit, die die Wunder der Natur in ihrer oft übersehenen Pracht sichtbar macht. Jeder einzelne Schneekristall scheint ein kleines Kunstwerk für sich zu sein, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden.
Neben diesen naturwissenschaftlich inspirierten Aufnahmen bietet das Festival auch eine Plattform für die Werke niederösterreichischer Berufsfotografen. Diese Ausstellung gibt spannende Einblicke in die vielfältigen und kreativen Ansätze der lokalen Fotografie-Szene. Hier zeigt sich die Bandbreite der regionalen Fotografie – von klassischen Porträts bis hin zu experimentellen Arbeiten, die neue Wege des visuellen Ausdrucks erkunden.
Unbedingt sehenswert auch die Ausstellung „Director’s Cut“ von Jurypräsident Michel Comte. In dieser exklusiven Auswahl präsentiert Comte beeindruckende Bilder aus dem weltweit größten Fotowettbewerb, CEWEs „Our World is Beautiful“. Die Ausstellung umfasst Aufnahmen aus 170 Ländern und stellt eindrucksvoll die Vielfalt und Schönheit unserer Welt dar. Jedes Bild erzählt eine eigene Geschichte und lädt den Betrachter dazu ein, die Welt aus einer neuen Perspektive zu sehen.
Sehr schön und gelungen finde ich auch die Rückschau auf das Jahr 2023 in Bildern von Ina Künne, der Artist in Residence. Diese visuelle Reise durch das vergangene Jahr wird durch die einfühlsamen Texte von Raphaela Edelbauer, der Thomas-Jorda-Preisträgerin 2022, ergänzt. Die Zusammenarbeit zwischen Künne und Edelbauer schafft einen faszinierenden Dialog zwischen Bild und Wort, der den Fotografien eine zusätzliche, literarische Dimension verleiht.
Das Festival zeigt nicht nur die Schönheit und Vielfalt der Fotografie, sondern bietet auch eine Plattform für den kreativen Austausch und die Verbindung zwischen verschiedenen Kunstformen. Es ist ein Ort, an dem die visuelle und literarische Kunst aufeinandertreffen und sich gegenseitig bereichern. Der dokumentarische Charakter vieler der ausgestellten Werke ruft uns aber auch dazu auf, nicht nur zu sehen und zu staunen, sondern auch zu handeln.
Kurt Lhotzky
Das Festival La Gacilly-Baden Photo findet von 13. Juni bis 13. Oktober 2024 statt.
- Die Fotos von Sasha Goldberger, Alain Schroeder sowie das Plakat des Festivals wurden liebenswürigerweise von der Presseabteilung des Festivals zur Verfügung gestellt!