Die Farbfotografie hat eine einzigartige Kraft: Sie bringt nicht nur Details und Strukturen zur Geltung, sondern erschafft auch emotionale Resonanz. Wo Schwarz-Weiß-Fotografie oft eine zeitlose Ästhetik und Distanz erzeugt, lädt die Farbe den Blick ein, unmittelbarer und oft intimer zu werden. Dies zeigt sich besonders eindrucksvoll in der aktuellen Ausstellung „True Colors“ in der Albertina Modern in Wien.
Kuratiert von Dr. Anna Hanreich und Dr. Astrid Mahler, ist die Ausstellung ein wahres Fest für Liebhaber*innen der Farbfotografie. Mit einem durchdachten Konzept präsentieren die Kuratorinnen Arbeiten, die die Vielseitigkeit der Farbfotografie zeigen: von dokumentarischen Werken bis hin zu experimentellen Ansätzen. Die Auswahl der Künstler*innen und die Zusammenstellung der ausgestellten Werke ermöglichen es, die Entwicklung und die transformative Kraft der Farbe in der Fotografie zu erleben.
„True Colors“ ist nicht nur eine Hommage an die Geschichte der Farbfotografie, sondern auch ein Beweis dafür, dass sie eine der lebendigsten und innovativsten Kunstformen bleibt. Besonders bemerkenswert ist die Fähigkeit der Ausstellung, die emotionale Dimension der Farben in einen gesellschaftlichen und kulturellen Kontext einzubetten. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall!
Die Geschichte der Farbfotografie reicht zurück bis zu den frühesten Tagen des Mediums im 19. Jahrhundert, als erste Experimente begannen, das visuelle Spektrum in farbigen Bildern einzufangen. Obwohl die Farbfotografie heute selbstverständlich erscheint, war sie das Ergebnis jahrzehntelanger technischer Innovation, kreativer Improvisation und wissenschaftlicher Entdeckungen. Die Reise zur natürlichen Farbwiedergabe begann jedoch nicht mit chemischen Prozessen, sondern mit Handkolorierungen und experimentellen Ansätzen.
1. Die Anfänge: Handkolorierung und getönte Papiere
Die ersten Fotografien waren zwangsläufig monochrom, da die lichtempfindlichen Materialien nur auf Helligkeitsunterschiede reagierten. Um dennoch Farbe zu simulieren, griffen frühe Fotograf*innen auf Handkolorierung zurück. Bereits in den 1840er-Jahren, in der Ära der Daguerreotypie, wurden Bilder manuell mit feinen Pinseln und transparenten Farben bearbeitet. Besonders in Porträtfotografien wurden die Gesichter leicht gerötet oder die Kleidung dezent eingefärbt, um einen lebendigeren Eindruck zu erzeugen. Dazu sieht man in der Albertina Modern unter anderem kolorierte Daguerreotypien von Wilhelm Horn wie das Bildnis eines jungen Offiziers aus dem Jahr 1849.
Ebenfalls populär waren getönte Papiere. Cyanotypien, Sepiatöne oder Albumindrucke mit wärmeren Farbstichen wurden oft bewusst gewählt, um den monochromen Bildern eine gewisse „Stimmung“ zu verleihen. Diese Techniken dienten mehr der ästhetischen als der dokumentarischen Intention und zeigten, wie stark die Sehnsucht nach farbigen Bildern bereits damals war.
2. Der wissenschaftliche Durchbruch: Die Farbfotografie als Technik
Die ersten ernsthaften wissenschaftlichen Versuche, Farbe fotografisch einzufangen, begannen in den 1860er-Jahren. Der schottische Physiker James Clerk Maxwell entwickelte 1861 ein bahnbrechendes Verfahren: Er projizierte drei monochrome Negative, die jeweils durch rote, grüne und blaue Filter aufgenommen wurden, übereinander. Dieses additive Farbmodell war ein theoretischer Durchbruch, da es zeigte, dass Farben durch die Mischung von Grundfarben dargestellt werden konnten. Praktisch jedoch war es damals noch nicht umsetzbar, da geeignete lichtempfindliche Materialien fehlten.
Die nächste entscheidende Entwicklung kam 1907 mit den Brüdern Auguste und Louis Lumière, die das Autochromverfahren einführten. Dieses Verfahren basierte auf mit gefärbten Stärkekörnchen (meist aus Kartoffelstärke) beschichteten Glasplatten. Die winzigen Körnchen fungierten als Filter, und das Ergebnis war ein farbiges Positivbild mit sanften, pastellartigen Tönen. Obwohl Autochrome bei Landschafts- und Porträtfotograf*innen beliebt waren, war das Verfahren teuer und benötigte lange Belichtungszeiten, was die Verbreitung einschränkte.
3. Farbfilm und der Weg zur Massennutzung
Mit dem Aufkommen von Farbfilmen wurde die Farbfotografie allmählich massentauglich. Bereits in den 1930er-Jahren führten Kodak und Agfa erste Farbfilme ein, darunter Kodachrome (1935) und Agfacolor Neu (1936). Diese Filme nutzten das Prinzip der subtraktiven Farbmischung, bei der drei Farbschichten (Cyan, Magenta und Gelb) übereinanderlagen, um ein realistisches Farbbild zu erzeugen. Besonders Kodachrome setzte neue Maßstäbe für die Farbsättigung und Detailgenauigkeit und blieb bis zu seiner Einstellung 2010 ein legendäres Medium.
Der Zweite Weltkrieg markierte einen Wendepunkt für die Farbtechnologie. Die Propaganda, insbesondere von Seiten der Nationalsozialisten und der US-amerikanischen Armee, trieb die Entwicklung und Verbreitung farbiger Bilder voran. Nach dem Krieg wurde Farbfilm zunehmend für journalistische, künstlerische und kommerzielle Zwecke eingesetzt, etwa in Magazinen wie National Geographic oder Life.
4. Die Farbästhetik: Von Realismus zu Experimenten
Die Einführung der Farbfotografie veränderte nicht nur die Technik, sondern auch die Ästhetik der Fotografie. In den 1970er-Jahren begannen Fotograf*innen wie William Eggleston, Stephen Shore und Saul Leiter, Farbe als eigenständiges künstlerisches Ausdrucksmittel zu nutzen. Während Schwarz-Weiß-Fotografie oft mit Dokumentarismus und Ernsthaftigkeit verbunden wurde, galt Farbe lange als „kommerziell“ und „banal“. Diese Fotografinnen zeigten jedoch, dass Farbe nicht nur dokumentarisch, sondern auch emotional und symbolisch eingesetzt werden kann.
5. Digitale Revolution und die heutige Farbfotografie
Mit der Digitalisierung der Fotografie in den 1990er-Jahren wurde die Farbwiedergabe einfacher und flexibler. Digitalkameras und Bildbearbeitungsprogramme ermöglichten es, Farben präzise zu manipulieren, was die Grenzen zwischen Fotografie und digitaler Kunst verwischte. Heute ist die Farbfotografie allgegenwärtig, und selbst monochrome Bilder sind oft das Ergebnis bewusster künstlerischer Entscheidungen.
6. Zurück in die Albertina Modern
Die Geschichte der Farbfotografie zeigt, dass sie mehr ist als nur eine technische Innovation. Von den handkolorierten Daguerreotypien bis zu den hochauflösenden Digitalbildern spiegelt sie den Wunsch wider, die Welt so lebendig und reich wie möglich darzustellen. Dabei blieb sie stets ein Spannungsfeld zwischen technischer Perfektion, ästhetischem Ausdruck und kulturellem Wandel. Sie erinnert uns daran, dass Fotografie nicht nur ein Abbild der Realität ist, sondern auch ein Medium, das unsere Wahrnehmung der Welt prägt und erweitert.
Die Ausstellung in der Albertina Modern ist ein lohnender Startpunkt, um sich mit der Farbfotografie auseinanderzusetzen. Zustande kam sie unter anderem dadurch, dass die Albertina eine Fülle von Fotos, Platten, Negativen, Büchern … aus dem Bestand der mittlerweile legendären Grafischen Lehr. und Versuchsanstalt verwaltet. Hoffen wir, dass die Sichtung und Katalogisierung der Bestände bald neue Schätze zugänglich machen wird.
Die Kuratorinnen standen vor großen Herausforderungen, da etliche Exponate, wie etwa die wunderbaren Interenzfotografien Gabriel Lippmanns (1891) nur unter ganz bestimmten Blickwinkeln und Lichtverhältnissen ihre strahlende Farbpracht entfalten können.
Natürlich gibt es (bei Hirmer erschienen) einen Katalog zur Ausstellung. Da können Interessierte natürlich viele Details nachlesen, die beim “bloßen Besuch” gar nicht auffallen. Vielleicht wäre es trotzdem bei künftigen Ausstellungen möglich, etwas mehr an Hintergrundinformationen in den Galerieräumlichkeiten selbst unterzubringen. Das ist aber auch schon die einzige kritische Anmerkung, die ich außerdem nur ganz dezent anbringenn möchte.
Ein Besuch der Ausstellung ist bis zum 21.4.2025 möglich – und wirklich empfehlenswert!
Kurt Lhotzky