EMOP: „In Bratislava müsste man sein“

Wie organisiert man ein Fotofestival, das eine ganze Stadt mit einbezieht, unterschiedlichsten künstlerischen Positionen Raum bietet und (zugegebenermaßen in diesem Zusammenhang ein kleiner Kalauer) für Interessierte erhellend ist? Wer es wissen will – rasch, noch bis Ende November auf nach Bratislava.
Eine Stunde mit der Bahn von Wien entfernt, also super und kostengünstig erreichbar, zeigen die Organisatoren des European Month of Photography 2023 in der slowakischen Hauptstadt, was möglich ist.
In der Einleitung zum gedruckt vorliegenden Programmheft des EMOP stellt Festivaldirektor Václav Macek, der auch Leiter des Mitteleuropäischen Hauses der Fotografie ist, die wohldurchdachte Konzeption des Projekts vor: da ist einerseits ein Rückblick auf die letzten 30 Jahre, die Zeit nach dem Ende des gemeinsamen Staates Tschecho–Slowakei. Und in diesen Jahren ist viel geschehen, wie man an der Rekonstruktion der Ausstellung „Play for Fourth“ aus dem Jahr 1986, der Dokumentation der Überwachung von Fotograf * innen durch die Staatssicherheit und den Ausstellungen zu gegenwärtigen Tendenzen der tschechischen und slowakischen Fotografie ablesen kann.

Mittelleuropäisches Haus der Fotografie


In Zusammenarbeit mit dem Fotofestival La Gacilly/Baden und dessen Direktor Lois Lammerhuber gibt es in diesem 33. Monat der Fotografie einen Asienschwerpunkt – Arbeiten von Maryam Firuzi, Gohar Dashti und Fatimah Hossaini sind nach Bratislava „weitergewandert“. Dazu ergänzend der Beitrag von Jiří Turek über das Leben in Afghanistan.
Auch die wichtigsten Fotos des Global Photography Peace Award werden gezeigt und Lois Lammerhubers Arbeit über das CERN.


Internationale Highlights sind eine Bryan-Adams-Ausstellung und die Präsentation der witzigen und staunenswerten neosurrealistischen Fotos des Franzosen Gabriel Garcin.
Rund um die Ausstellungen gibt und gab es eine ganze Reihe von qualitativ brillant besetzten Diskussionen, Buchpräsentationen und Meisterklassen für Fotografie. Und auch außerhalb der Slowakei können im Rahmen des EMOP die Werke slowakischer Fotograf * innen bewundert werden – übrigens auch in Wien, im Slowakischer Kulturinstitut in der Wipplingerstraße 24-26 im 1. Bezirk.
Mit dem Mittelleuropäischen Haus der Fotografie gibt es natürlich ein organisch gewachsenes Herzstück für alle Aktivitäten rund um die Fotografie. Die eher klein dimensionierten Räume in der Prepoštská 4 werden dafür so durchdacht und liebevoll genutzt, dass gleich mehrere Ausstellungen parallel möglich sind, ohne dass die Besucher * innen überfordert werden. Der „Eintrittsbereich“ mit einer begeisternden Auswahl internationaler und slowakischer Fotobücher- und Zeitschriften ist eine gezielte Attacke auf die Brieftaschen der Gäste. Es ist zu hoffen, dass das für Wien geplante Foto Arsenal auf mehr Fläche ebenso viel Anregung bieten wird.

Grenzüberschreitende Kooperation

Im Haus der Fotografie zu sehen ist das erwähnte Projekt „Play for Fourth“, das auf eine Idee von Tono Stano zurückgeht. Gemeinsam mit Rudo Prekop und Michal Pacina schuf er einen Zyklus von Fotografien, bei denen jeder der beteiligten Fotografen vorab entschied, ob sein Motiv Kopf, Torso oder Füße/Beine sein sollten. bei der Hängung der Bilder wurden dann die Teile entsprechend angeordnet – wie wir das von etlichen Kinderbüchern kennen, bei denen dreigeteilte Buchseiten immer neue Figuren zusammensetzen lassen.  Das Projekt entstand 1986, als sich unterschiedliche Stränge in der Entwicklung der slowakischen Fotografie überkreuzten. Da gab es die Anhänger*innen der Schule des „nicht-entscheidenden Moments“ ebenso wie die „Neue Welle“ und die Positivisten. Für Stano war eine Fotografie ohne einen „menschlichen Anteil“ unmöglich, das war wohl die Triebfeder hinter dem  „Play“. 

Play of Fourth

Ebenfalls im Mitteleuropäischen Haus der Fotografie ist eine kleine Ausstellung mit kolorierten Fotos zu sehen. Vom Beginn der Fotografie an gab es Versuche, die anfangs fehlende Komponente „Farbe“ einzubringen. Wie unterschiedlich das gelang sieht man in einem speziellen Raum im 1. Stock. 

Ebenfalls oben hingewiesen habe ich auf die Fotos von Gabriel Garcin – hier ein paar Beispiele.

Natürlich gibt es eine Fülle anderer Ausstellungsorte. Hier ein paar Tipps: 

Im Gebäude der Universitätsbibliothek In der Michalská 1 kann man die Ausstellung von Jiry Turek und Jana Jaburková „Citilove“ sehen. Die großformatigen Arbeiten, Leinen auf Dibond, zeigen atmosphärisch dichte Stadtansichten. Das besondere daran: Es sind Alltagssituationen, Momentaufnahmen, die oft eine leichte Unschärfe aufweisen und gerade dadurch eine besondere Unmittelbarkeit ausstrahlen. Auch hier wieder ein großes Lob: durch die Bank sind bei den Ausstellungen die Exponate ausgesprochen durchdacht und liebevoll gehängt, dadurch kommen auch die Räume der Ausstellungsorte schön zur Geltung.

„Citylove“ in der Universitätsbibliothek

In der kleinen Galéria F7 am Frantiskanske namestie 7 hängen Arbeiten  von Pavel Vavroušek, die das Leben in der kleinen Ortschaft Nová Sedlica zeigen. Tomás Pospech sagt dazu im Präsentationstext zur Ausstellung:

Noch heute, fünfzig Jahre später, denkt man an Pavel Vavroušek, wenn man in den Dörfern unterhalb des Bukovské vrchy vom Fotografen spricht. So sehr, dass er mit seiner Ankunft in das Gedächtnis der Einheimischen eingegangen ist. Bis heute bewahren sie viele der Fotografien auf, die er damals an sie verteilte. Er war still,  schüchtern, aber auch aufmerksam und zuhörend. So stellen wir uns einen Dokumentarfotografen normalerweise nicht vor. Doch wer schweigt und zuhört, sieht oft mehr und wird von anderen mehr akzeptiert.

Vavroušek war kein sozialkritischer Berichterstatter, bestimmte Probleme wie der durchaus verbreitete Alkoholismus tauchen indirekt auf. In erster Linie ist es eine Hommage an ein bäuerliches Leben, das der Moderne weichen musste. Die stimmungsvolle Galerie selbst liegt etwas versteckt und ist durch einen schönen Hausflur erreichbar. 

Totengräber, wie bei Shakespeare

Im Kulturzentrum, Námestie SNP 12, ist im 2. Stock die Bryan Adams-Ausstellung zu sehen. Sie geht – durchaus folgerichtig – in die Ausstellung der Fotos vom Global Photography Peace Award über. 

Bratislava ist im November auf jeden Fall eine Reise wert. Vom Konzept und der „Darreichungsform“ habe ich mich jedenfalls beim 33. Monat der Fotografie in Bratislava deutlich wohler gefühlt als bei der Foto Wien in diesem Jahr. Vielleicht liegt das auch daran, dass in Bratislava den slowakischen (und natürlich auch tschechischen) Fotograf*innen mehr Platz eingeräumt wird als – gefühlt – den österreichischen in Wien. Ich rede hier keinem kleinkarierten Kulturpatriotismus das Wort – es geht mir vielmehr darum, dass derartige Veranstaltungen einfach der ideale Boden sein könnten, um unbekannteren oder nur Eingeweihten bekannten Fotograf*innen ein Forum zu bieten. Die „großen Namen“ können ein wichtiger Aufhänger und ein Lockmittel sein. Gerade das Unbekannte aber sollte die Neugier beflügeln helfen.

Kurt Lhotzky

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