Die Ausstellung Photo/Politics/Austria im Wiener MUMOK ist ein bemerkenswerter pointierter Beitrag zum oft strapazierten „Gedenkjahr“ 2018.
100 Jahre Republik – das kann gefährlich werden. Dann beispielsweise, wenn man eine Art republikanischen Urknall erfindet, der die Geschichte des neuen Staates von der imperialen Vergangenheit des Vielvölkerstates der Habsburger loslöst. Oder wenn man ignoriert, dass sich bis weit in die Gegenwart hinauf relevante Fraktionen der herrschenden Klasse niemals mit der republikanischen Idee anfreunden konnten.
Die von Susanne Neuburger und Monika Faber kuratierte Ausstellung hat einen klaren und durchaus subjektiven Aufbau: Jedes Jahr ab 1918 wird durch eine fotografische Wandtafel und einen kleinen Schaukasten vorgestellt. Hervorragend eignet sich dafür die von Markus Schinwald gestaltete Ausstellungsarchitektur.
Im Mumok fällt Photo/Politics/Austria insofern etwas aus dem traditionellen Rahmen, weil die sogenannte „künstlerische“Fotografie nur spärlich präsent ist. Stattdessen sehen wir: Pressefotos, private Schnappschüsse, Zeitungsseiten, Plakate, Werbeposter, Faksimiles aus Fotobüchern. Und jede Menge ikonischer Bilder, die völlig zu recht als Sinnbilder einzelner Jahre stehen, wie etwa das berühmte Heimkehrerfoto von Ernst Haas. Stößt sich jemand an diesem „Bruch“ in der Ausstellungstradition? Wohl kaum. Denn, um es nochmals zu betonen: Die Kombination aus Bildern und deren Präsentation an sich ergeben zusammen ein eigenes musales Kunstwerk, das weder verstaubt noch gezwungen pädagogisch ist.
Der Mix aus „Hof- und Staatsaktion“, Alltagspolitik und politischer Kultur macht jede Station zum kleinen Aha-Erlebnis. Schon der Auftakt 1918 ist markant – die rückströmenden Truppen von der Isonzofront zeigen die Anarchie eines geschlagenen Heeres, in dem bis zuletzt der Schein der Disziplin gewahrt wird, obwohl sich im Hintergrund das Chaos der Niederlage erkennen lässt. Dazu, gleich folgend, die rare Broschüre von Bruno Frei über das Wohnungselend der ärmsten jüdischen Schichten in Wien.
Die wunderbaren Fotos von Tänzerinnen in den brodelden 20er Jahren (Atelier Madame d’Ora) wechseln ab mit Ansichtskarten vom Justizpalastbrand 1927; die fotografischen Inszenierungen des „Milimetternich“ Dollfuß kontrastieren mit Kollagen wie „Das Bürgertum faschisiert sich“.
Dann die Bilder vom Österreich-Pavillon bei der Weltausstellung in Paris 1937 mit dem riesigen Panorama von Ernst Haas, der als “jüdischer Künstler” auch während der austrofaschistischen Herrschaft nicht erwünscht war und dessen Leistung dementsprechend unerwähnt blieb. Dann die Nazizeit – wie treffend: Auf einer Bedürfnisanstalt drängen sich Schaulustige und Nazis, um “ihren” Führer zu sehen. Dazu ein schauerlicher Kontrast ein Paar Kojen weiter: Gefangene im KZ Mauthausen, die mit “fröhlicher Musik” eine Gruppe Mithäftlinge zu deren Ermordung begleiten müssen.
Kriegsende, Wiederaufbau – all das sehen wir in Bildern der “großen” Geschichte und des “kleinen” Alltags.
Kritisch sei angemerkt, dass bedauerlicherweise bei der Präsentation des Jahres 1950 die alte Kalte-Kriegs-Legende vom “kommunistischen Streik” aufgewärmt wird. Die Oktoberstreiks gegen das IV. Lohn-Preis-Abkommen waren weit über Parteigrenzen hinweg eine kollektive Antwort von Arbeiterinnen und Arbeitern, die sich gegen die brutale Erhöhung der Lebensmittel- und Heizmaterialpreise richtete.
Einer der maßgeblichen Männer bei der Niederschlagung der Proteste sieht uns 13 Jahre später an – auf den Titelseiten der WOCHENPRESSE, die über den Sturz des mächtigen ÖGB-Präsidenten Franz Olah berichtet. 1950 hatte der damalige Vorsitzende der Gewerkschaft Bau/Holz mit Schlägertrupps die Streikenden auseinanderknüppeln lassen.
Kultur, Politik, Mode begleiten herauf in die Gegenwart – die Ära Kreisky und die Modernisierung der österreichischen Gesellschaft, die neue Frauenbewegung, die erste Kampagne gegen Ausländerfeindlichkeit (“I heiß Kolaric…”), sogar Elfie Semotans (damals heftig umstrittene) Palmers-Werbeplakate (“Trau dich doch”) aus dem Jahr 1981 lachen uns in Originalgröße entgegen.
Natürlich, nach den vier im Jeep, auch die zwei im Porsche: 2000 porträtierte der Pressefotograf Effenberger Jörg Haider und Wolfgang Schüssel im Porsche – “speed kills”. Später dann das Foto von Haiders Phaeton, mit dem dieser 2008 in den Tod raste.
Ein Besuch der Ausstellung im Mumok sollte nicht fehlen, wenn man sich anlässlich des Jahrestages der Republikgründung intensiver mit der österreichischen Gegenwartsgeschichte beschäftigen will. Eine ausgesprochen liebevoll gestaltete Ruhe- und Leseecke bietet einen schönen Überblick über die Fotoliteratur zum Thema. Details zu den Öffnungszeiten finden Sie, findet ihr im Link in der Einleitung.