Buchtipp: Die Fotografin, von William Boyd

[Die folgende Buchbesprechung ist Anfang des Jahres in der Kundenzeitschrift von Lhotzkys Literaturbuffet erschienen. Da ich das Buch nach wie vor „liebe“, hier also eine „Reprise“ – und ein  passender Videoclip des Berlin-Verlages dazu!]

Amory Clay (1908 – 1978) war eine jener Frauen, die das 20. Jahrhundert mit ihrer Kamera – oder besser: ihren Kameras – begleitete.
Als Tochter des aus einer Bergarbeiterfamilie stammenden Beverly Vernon Clay, der sich vor dem 1. Weltkrieg in England einen Namen als Autor phantastischer Erzählungen machte, und seiner aus einer Richterfamilie stammenden Frau Wilfreda, geborene Reade-Hill, war Amorys Karriere keineswegs vorgezeichnet.
Einen wesentlichen Impuls für die berufliche Orientierung gab Amorys Onkel Greville Reade-Hill, der während des Kriegs Fotoaufklärer bei der Royal Air Force gewesen war und dann als „Gesellschaftsfotograf“ Karriere machte. Die Bezeichnung behagte ihm gar nicht – er wollte als ernsthafter „Fotograf“ angesehen werden. Er ermöglichte seiner Nichte schließlich den Einstieg in die Welt der professionellen Fotografie, zu einer Zeit, als noch Plattenkameras herumgeschleppt wurden (auch wenn die Leica schon erfunden war).
Boyd zeichnet sprachlich virtuos das Bild einer starken, durchsetzungsfähigen, talentierten, verletzbare Frau, die sich in einer männlich dominierten Welt durchsetzt – zugleich eine Hommage an die großen Fotografinnen des 20. Jahrhunderts, die Lee Millers, Edith Tudor-Harts, Vivian Mayers …
In die Lebensspanne der Amory Clay fallen zwei Weltkriege, der Aufstieg des Faschismus in Europa und der Vietnamkrieg. Diese gewalttäigen Zeiten prägten direkt oder indirekt das Leben Clays.
William Boyd hat das Buch durch zahlreiche Fotodokumente bereichert – das erste Foto, das Amory noch als Mädchen mit der Kamera (einer Kodak Brownie Nr. 2) schoss, die ihr der Onkel zum 7. Geburtstag geschenkt hatte; Fotos von Schwester Dido und Bruder Alexander, genannt Xan; Fotos ihrer skandalumwitterten ersten eigenen Ausstellung in London 1931 („Berlin bei Nacht“). Ihre Fotos als Kriegsbericht-erstatterin während des 2. Weltkrieges und ihre sehr persönlichen Eindrücke aus Vietnam zu Zeiten des Krieges (aus ihrem Buch „Vietnam, mon amour“)
556 Seiten puren Lesegenusses, intelligent, berührend, überraschend, unterhaltsam.

William Boyd
Die Fotografin
Berlin-Verlag
556 Seiten, EUR 24,70

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