Es gibt schon ein paar Blogbeiträge auf complexityinaframe, die sich mit dem Festival La Gacilly beschäftigen. Das waren “Aufwärmrunden”, weil ich bis dahin noch keine Gelegenheit hatte, die “Ausstellung” La Gacilly/Baden I love Africa zu besuchen.
Warum die Anführungszeichen? Weil “Ausstellung” dem, was in Baden geboten wird, einfach nicht gerecht wird. Die kaiserliche Kurstadt in der Nähe Wiens zeichnet sich durch einen ganz bestimmten imperialen Charme aus, der von der Römertherme, dem Strandbad und dem Casino bis heute aufrecht erhalten wird und einen Hauch von Fin-de-siècle-Dekadenz ausstrahlt. Und mitten drin, an verschiedenen Orten – in Parks, Passagen, Innenhöfen, Hauswänden, dem Becken eines Kanals: Fotos. Nicht irgendwelche Fotos. Nein – durch die Bank brillante Fotos, in einer Größe und Darbietungsform, die einen buchstäblich anspringt. So anspringt wie einige der exotischen Tiere, die wir im Rahmen des Festivals zu sehen bekommen.
Denn das Motto von La Gacilly/Baden lautet: “I love Africa”. Das Schwerpunktthema hat mich, ehrlich gestanden, zurückschrecken lassen, als ich das erste Mal von diesem Projekt gehört habe, ohne noch genau zu wissen, was auf mich zukommen wird.
Ich wusste nicht, dass es Pascal Maitre, der bedeutende französische Fotojournalist mit seiner tiefen Liebe zu Afrika war, der den österreichischen Fotografen und Verleger Lois Lammerhuber in der Bretagne mit diesem Konzept vertraut machte; ich wusste nicht, was in so kurzer Zeit Dank der Expertise des bedeutenden Verlegers möglich war (in diesem Land sind ja mögliche Dinge meistens schreckliche Dinge, wie wir seit dem letzten Präsidentenwahlkampf wissen).
Was hat mich skeptisch gemacht? Vermutlich die vielen geschleckten, überästhetisierten Afrikafotos in manchen Hochglanzmagazinen und auf Instagram (ja, das sind verschiedene Welten, ich weiß); dass die meisten “Afrikafotos” von US-amerikanischen oder europäischen Fotografen (seltener: Fotografinnen) gemacht werden, die natürlich auch “das Leiden anderer betrachten” (Copyright Susan Sontag), die dann aber wieder weggehen (können).
Und dann – die Exposition (es ist kein manirierter Versuch, mit Fremdwörtern zu brillieren – ich finde den Ausdruck hier wirklich treffend!) in Baden.
Würde man die Bilder (natürlich in entsprechenden Größen) in einen musealen Ausstellungsraum sperren, wären die Betrachter nach einer Stunde “streichfähig” – zu konzentriert sind die unterschiedlichen Themensetzungen der einzelnen Künstlerinnen und Künstler, zu unterschiedlich die Stile und persönlichen Zugänge. Aber so… kann man bequem einen halben, oder besser noch einen ganzen, Tag damit zubringen, durch die Stadt zu flanieren und zu schauen und zu staunen. Denn die Betrachterin, der Betrachter braucht einfach Zeit, um die vielen visuellen Eindrücken zu verarbeiten, und vermutlich ist auch die physische Anstrengung, anhand des exzellent übersichtlichen Ausstellungsplans von Station zu Station zu spazieren, ein gutes Gegengewicht zur intellektuellen Herausforderung durch die einzelnen Fotostrecken.
Bevor ich ein paar meiner persönlichen Highlights vorstellen möchte, noch ein Wort: Es sind nicht ausschließlich Bilder aus und über Afrika, die zu sehen sind, Es gibt auch: Die witzigen und bezaubernden Hundefotos von Elliott Erwitt; die eindringliche Fotoreportage “Entre chien et loup” aus dem französischen Morbihan; Emanuele Scorcellettis Pferdeporträts – und dazu köstlich inszenierte, konzeptuelle Fotos, die uns La Gacilly näherbringen.
Was hat mich besonders beeindruckt (außer: allem und dem Konzept 😉 ):
- Akintunde Akinleyes Nigeriafotos. Der Pressefotograf erlangte 2006 Weltruhm, als eines seiner Fotos über eine furchtbare Pipelineexplosion in einem Vorort der Hauptstadt Lagos International auf die Titelseiten kam. Aber Akinleye dokumentiert weit mehr als die spektakulären Auswirkungen von Armut und Ausbeutung von Menschen und Ressourcen.
- Sammy Balojis Projekt “Exploitation”. Der Fotograf, der als Zeichner von Graphic Novels begonnen hat, zeigt mit seinen geradezu genialen Montagen die Folgen der (post)kolonialen Ausbeutung. Fotos aktueller Situationen – Städte, Minen … – werden mit assoziativ dazu passenden kitschigen Postkartenfotos im Stil der Zeugen Jehovas oder Elementen alter Fotografien “remixed”.
- Die 1980 in Mali geborene Fatoumata Diabaté ist eine der wenigen Fotografinnen, deren Arbeiten ausgestellt werden (was nicht an den Kuratorinnen und Kuratoren, sondern an der Situation von Frauen in den afrikanischen Staaten liegt). Von der Studiofotografie geprägt, hat Diabaté ihr Studio auf die Straße verlegt – und macht herrliche, mitunter wunderbar schräge Porträts und Gruppenfotos.
- Jean Deparas Zyklus “Nächte und Tage in Kinshasa , 1951-1975” führt uns zurück in die Blütezeit einer multiethnisch durchmischten, von Musik pulsierenden Großstadt. Unerhört lebendige Schwarzweißaufnahmen einer brodelnden Metropole.
Abgesehen vom Afrika-Schwerpunkt ist “Mensch und Tier” ein wesentlicher Teil des Festivals. Und auch hier erleben wir überraschende Blicke auf unsere Umwelt – besonders empfehlen möchte ich Rob MacInnis “Farm Family”. Seine Models sind bäuerliche Nutztiere – er interessiere sich für “die Arbeiterklasse der Tiere”, sagt der Fotograf. Herausgekommen sind erstaunliche und berührende Aufnahmen.
Nochmals: Bis 30. September kann man das La Gacilly/Baden Festival besuchen. Eine Reihe von flankierenden Veranstaltungen finden Sie hier. Freier Eintritt, Freiluft – ideal für einen Sommerausflug, durchaus auch mit Kindern. Gratulieren und danken muss man Lois Lammerhuber und der Stadtverwaltung von Baden, die diese außergewöhnliche Ausstellung ermöglicht haben.