Ausstellungsbericht: arm & reich im Dom Museum Wien

Es ist vermutlich eine ungewollte Ironie, dass die bemerkenswerte Ausstellung „arm & reich“ über soziale Ungleichheit in jenem Gebäudekomplex beim Stephansdom in Wien untergebracht ist, wo auch die Finanzkammer der Erzdiözese Wien ihren Sitz hat. Die ist unter anderem für die Eintreibung ausständiger Kirchenbeiträge zuständig – was gerade Arme manchmal zusätzlich stresst.

Die Ausstellung selbst zeigt Gemälde, Installationen und Fotografien, die sich mit dem Ausstellungsthema auseinandersetzen. Neben Prunk und Gloria hat es in der Kirchengeschichte auch immer Gegenbewegungen gegeben – Orden und Einzelpersonen, die sich der Armut verschrieben, die Reichen als gottlos bekämpften und an Passagen aus dem Neuen Testament wie die Vertreibung der Händler aus dem Tempel anknüpften (etliche dieser Bewegungen wurden allerdings von der offiziellen Kirchenhierarchie als Ketzer und Häretiker verfolgt).

Der erste Teil der Ausstellung, „Die große Schere“, beginnt mit dem Gemälde „Mantelteilung und Traum des Heiligen Martin“ (um 1502). Bis heute gilt ja dieser Akt der Caritas als Muster für die christliche Nächstenliebe und Wohltätigkeit im Geiste Jesu..

Dem gegenübergestellt finden sich unter anderem Bilder aus Jim Goldbergs Zyklus „Rich And Poor“. Die berührenden handschriftlichen Kommentare der Porträtierten beweisen, wie wichtig Texte sind, um Bilder richtig kontextualisieren zu können.

Aus dem Zyklus „Rich And Poor“

In jeder Hinsicht interessant ist das Projekt des niederländisch-kanadischen Fotografen Paolo Woods, der sich seit 2007 unter anderem mit dem wachsenden chinesischen Einfluss in Afrika beschäftigt. Das ist ja heute – Stichwort: Neue Seidenstraße – ein geopolitisch enorm wichtiges und kontroversielles Thema. Das sich hier eine neue Form nahezu neokolonialer Ungleichheit entwickelt, macht Woods in seinen Reportagen sichtbar.

Im zweiten Abschnitt „Gesichter und Geschichten“ wird soziale Ungleichheit anhand der Geschichten sehr konkreter Personen abgehandelt. Laureen Greenfield hat für ihr Langzeitprojekt „Generation Wealth“ die Familie des Unternehmers David Siegel und seiner Gattin Jackie mehrere Jahre begleitet – vom glamourösen Leben der Multimillionärsfamilie bis zum Absturz durch die Subprimekrise 2007/08, als das prächtige Anwesen der Familie (sinnigerweise „Versaille“ benamst!) zwangsversteigert wurde.

Faszinierend die Diapositive von Hermann Drawe (1867-1925), der um die Wende zum 20. Jahrhundert gemeinsam mit dem Journalisten Emil Kläger das Leben der Ärmsten in der Haupt- und Residenzstadt Wien dokumentierte. Die 1906 unter dem Sammeltitel „Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens“ erschienenen Berichte sind Klassiker der Sozialreportage. Sie stehen meiner Meinung nach der klassischen investigativen Reportage von Jakob A, Riis „How the other half lives“ (1890) über die Wohnsituation in New York in nichts nach.

„Kritik, Widerstand, Protest“ spannt einen breiten Bogen von Pieter Bruegel über George Grosz, Käthe Kollwitz zu John Heartfield und Klaus Staeck. Erwähnt sei Friedl Dicker-Brandeis (1898-1944), eine vielseitig begabte Künstlerin, die von den Nazis in Auschwitz ermordet wurde. Sie ist mit einer Collage „Das Bürgertum faschisiert sich“ vertreten, die heute wieder besonders aktuell wirkt.

Das Bürgertum faschisiert sich
Darf einfach nicht fehlen – der großartige Klaus Staeck mit seinen Collagen

Durchaus in die Abteilung „Symbole, Materialien und Werte“ hätte meiner Meinung nach Visschers Kupferstich nach einer Zeichnung Bruegels des Älteren „Die großen Fische fressen die kleinen“ (etwa 1619) gepasst – bis heute gehört dieses Bildsymbol zum grafischen Fundus diverser sozialer Bewegungen.

Projekt Morrinho

In „Orte der Ungleichheiten“ kann man Teile des Projekts Morrinho sehen – dem „Nachbau“ einer Favela in Rio de Janeiro aus bemalten Ziegeln.

Johanna Kandl zeigt auf ironische Form, was geschehen würde, wenn die Reichen und Superreichen in eine Wohnwagensiedlung übersiedeln müssten…

Das Projekt „Got it rough ‚cause I‘m a She“ aus dem Jahr 2021 zeigt eindringlich, dass in Österreich die Armut überproportional weiblich ist.

Alles in allem: eine sehenswerte Ausstellung, die noch bis 28. August 2022 zu besuchen ist!

Kurt Lhotzky

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