Im ZIMMER im 8. Wiener Gemeindebezirk zeigte das AUSLÖSER-Team von 8. bis 11. Dezember 2022 eine Auswahl „sorgsam kuratierter Fotobücher, Kunstbücher, Magazine und Zines der Independent-Publishing-Szene“ (so der Einladungstext). Umrahmt wurde diese bemerkenswerte Leistungsschau der Fotobuchszene durch Veranstaltungen und Vorträge, unter anderem von Reflektor Photobooks, It’s a passion thing Magazine, dem Fotobuchkurator Michael Reitter-Kollmann und Spike Art Magazine, um nur einige zu nennen.
Die Präsentation der Zines und Bücher erfolgte auf selbstkonstruierten Schauwänden, das Angebot war beeindruckend. Seit der Foto Wien hat es keine Gelegenheit mehr gegeben, einen so kompakten Überblick über die unabhängige Fotobuchszene zu bekommen.
Besucherinnen und Besucher von complexityinaframe wissen ja, dass ich eine besondere Beziehung zu Fotobüchern habe. Seit ich vor ein paar Jahren aktiv zu fotografieren begonnen habe, sind Fotobücher meine „ständigen Begleiter“. Zuerst die unvermeidlichen „Lehrbücher“, dann Veröffentlichungen zur Geschichte der Fotografie, Monografien über wichtige Fotografinnen und Fotografen. Dann erweiterte sich das Spektrum um thematische Werke zu Detailaspekten, antiquarische Bücher über Fotografinnen und Fotografen, die mir völlig unbekannt waren und dann das eine oder andere Fotozine.
Fotobücher sind eine Quelle der Inspiration und des Lernens. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich Fotos in gedruckter Form in Ruhe betrachten kann – oder nur auf dem kleinen Display eines Handys. Es macht einen Unterschied, ob ich Bilder an mir „vorbeiwische“, oder ob ich in Ruhe in einem Buch vor- und zurückblättern kann. Vielleicht gibt es tatsächlich Menschen, die am Handy oder am Tablet die kleinsten Details eines Fotos erkennen und die Bildstimmung spüren können – ich kann es in der Regel nicht.
Es gibt aber noch eine andere Dimension des Fotobuchs (ich verwende den Begriff generalisierend, schließe also auch Zines mit ein). Jemand will uns sein Werk vorstellen. Er oder sie will, dass wir uns mit ihrer Art des Sehens auseinandersetzen. Wir tun das freiwillig. Für den fotografierenden Menschen ist es nebensächlich, ob uns seine/ihre Arbeiten gefallen (außer, es handelt sich um Auftragsarbeiten, die uns gefallen sollen und müssen). Wer seine Arbeiten öffentlich zeigt, ist von ihrer Qualität überzeugt. Eine erste Hürde haben wir ja schon genommen, indem wir das Buch erworben haben. Also hat es uns in irgendeiner berührt. Das betrifft in erster Linie Bücher, die als Self-Publishing-Projekte realisiert wurden, oder viele, die in sehr kleinen Verlagen erschienen sind. (Die Fotobücher der renommierten Verlage, die sich mit den „Großen“ der Fotografie befassen, sind natürlich anders konzipiert. Sie sollen einen größeren Leserinnen- bzw. Leserkreis ansprechen). Gerade die kleinen, unabhängigen Veröffentlichungen sind es, in denen wir oft die größten Überraschungen erleben.
Theoretisch gehört es zu den „Grundrechten“, seine Meinung (auch künstlerisch) frei äußern zu dürfen. Dieses Recht stößt jedoch schnell an seine materiellen Grenzen: Was nützt mir die künstlerische Freiheit, wenn der Verlag X von mir verlangt, dass ich mein Buchprojekt selbst finanzieren soll („Druckkostenzuschuss“ heißt das meist euphemistisch)?
Tatsächlich ist für viele Fotografinnen und Fotografen angesichts des enormen finanziellen Drucks, dem sie oft seitens der großen Verlage ausgesetzt sind, das Self-Publishing die bessere Lösung. Mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten.
Soll es ein „schönes Buch“ werden, heißt es, sich gründlich mit allen Fragen der Buchherstellung, der Typographie, des Designs, der Papierqualität, der Bindeart etc. auseinanderzusetzen. Dann muss eine Druckerei gefunden werden, die den selbst gewählten Qualitätsansprüchen genügt. Ach ja – und finanziert werden muss das Projekt ja auch noch. Heißt also: der Griff zu den Ersparnissen, die Suche nach Sponsoren, evtl. das Ansuchen um Förderungen, der Canossagang zum Kredithai, das Crowdfunding im Internet…
Mittlerweile gibt es – dem Digitaldruck sei Dank – genügend preiswerte Möglichkeiten, Bücher herauszugeben. Freilich – mit einem Steidl oder Hatje Cantz oder Phaidon oder Prestel wird man drucktechnisch schwer mithalten können. Muss man aber nicht, und das hat das Fotobuch-Pop-Up des AUSLÖSERs eindrucksvoll bestätigt.
Sprechen wir also von Klein-, Kleinst- und Selbstverlagen. Jetzt ist es wohl Zeit, den Begriff des „Künstlerbuchs“ einzuführen. Entstanden ist das Konzept schon in den frühen 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als innovative und revolutionäre Künstlerinnen und Künstler die traditionellen Bahnen des Kunstbetriebs infrage stellten. Künster*innengruppen formierten sich, verfassten Manifeste, vernetzten und befetzten sich untereinander. Genutzt wurden die wachsenden Möglichkeiten des Drucks bzw. der Vervielfältigung von Texten. Neue Schrifttypen wurden entwickelt, Pamphlete in Kleinauflagen produziert, das Medium selbst wurde Teil der Kunst, war nicht mehr bloß Träger des Inhalts. [Um nicht allzu weit vom Thema abzuschweifen, empfehle ich den einschlägigen Beitrag in der Wikipedia, wobei mir der der englische „Artist’s Book“-Eintrag interessanter erscheint!] Das Künstlerbuch trägt die unverwechselbare Handschrift seiner Produzentin oder seines Produzenten. Nicht selten handelt es sich um ein Unikat, wird von Herausgeber*innen-Fotograf*innen selbst händisch gebunden oder sonst wie manuell „behandelt“.
Im Rahmen der AUSLÖSER-Veranstaltungsreihe im ZIMMER sprach Michael Reitter-Kollmann über Nobuyoshi Araki und dessen Bedeutung für die „Grammatik“ des modernen Fotobuchs. Araki ist mit über 500 Fotobüchern wohl der produktivste Fotograf, was die Veröffentlichungen anbelangt. Spannend ist dabei, dass in einer sehr frühen Phase seines Schaffens Fotobücher entstanden, die nicht aufwändig gedruckt waren, sondern auf den ersten XEROX-Fotokopierern von Araki selbst produziert und mit der traditionellen Technik der Stabbindung gebunden wurden. Die fertigen Bücher (oder Broschüren) wurden von ihm dann an zufällig aus dem Telefonbuch herausgesuchte Personen verschickt.
Die Xeroxkopien Arakis zeichneten sich durch eine der Technik geschuldeten starke Verfremdung der fotografischen Originale aus: statt sattem Schwarz dominiertes verwaschenes Grau, Details verflachten sich. Farbe war natürlich weder möglich noch erwünscht.
Heute sind bereits recht günstige Kopiergeräte oder Drucker technisch viel fortgeschrittener. Dementsprechend ist es heute möglich, Künstlerbücher oder Zines mit geringem finanziellen Aufwand (aber umso mehr Zeitaufwand) in kleinen Auflagen herzustellen.
Das Pop-Up in der Piaristengasse hat bemerkenswerte Beispiele für derartige Zines ausgestellt. Stellvertretend für viele andere verweise ich nur auf die „Vienna Zines“ von Hanna Pribitzer. Auf der Homepage wird das Projekt folgendermaßen vorgestellt:
„Das Projekt „Wien A-Z“ begann im Jahr 2010 als die Fotografin Hanna Pribitzer die alphabetisch erstgereihte Straße Wiens besuchte. Abbegasse.
Dies markierte die Geburt des Langzeitprojekts: Die Straßen Wiens in alphabetischer Reihenfolge zu fotografieren. Das Ziel ist nicht die Straßen minutiös zu dokumentieren (dafür gibt es google Street View), sondern sich von alltäglichen Dingen vor Ort inspirieren zu lassen.
Analoger Film ist das präferierte Medium, wodurch jede Straße durch den benutzen Film und die verwendete Kamera eine eigene Stimmung erhält.
Seit September 2019 werden aus den archivierten Fotos limitierte, handgemachte Foto Magazine gestaltet, die in diesem Shop erhältlich sind.
Auch wenn unrealistisch ist, dass die „letzte“ Straße Wiens jemals erreicht wird, so ist das Projekt durchaus als Langzeitprojekt intendiert. Die Veröffentlichung vieler Magazine ist geplant.
Es lohnt sich, in diese Welt der „kleinen“ Fotobücher einzutauchen. Vielleicht hat ja der eine oder andere von euch Fotoprojekte, die sie/er seit längerem verfolgt. Es lohnt sich darüber nachzudenken, ob sich daraus nicht in irgend einer Weise ein gedrucktes Werk gestalten ließe. Über Kommentare zu diesem Thema freue ich mich!