Am 19. August 1839 präsentierte der Professor für Geodäsie und analytische Geometrie François Arago vor der Akademie der Wissenschaften in Paris Erfindung von Louis Daguerre und Joseph Nicéphore Nièpce: die Fotografie. In vielen Ländern forschten Profis und Amateure, wie man „mit Licht zeichnen‟ und die Ergebnisse konservieren könnte.

Die Grabstätte Aragos auf dem Pariser Friedhof Pére Lachaise

Unwillkürlich fällt mir dazu die treffende Beschreibung der Entdeckungen zur Zeit der Renaissance von Friedrich Engels in der „Dialektik der Natur‟ ein:

„Es war die größte progressive Umwälzung, die die Menschheit bis dahin erlebt hatte, eine Zeit, die Riesen brauchte und Riesen zeugte, Riesen an Denkkraft, Leidenschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit. Die Männer, die die moderne Herrschaft der Bourgeoisie begründeten, waren alles, nur nicht bürgerlich beschränkt. Im Gegenteil, der abenteuernde Charakter der Zeit hat sie mehr oder weniger angehaucht‟.

Arago war es auch zu verdanken, dass beide Kammern des französischen Parlaments einige Tage davor die Erfindung gekauft und der ganzen Welt zum Geschenk gemacht hatten.

180 Jahre später fand in der Wiener Galerie Westlicht eine gar nicht so kleine Geburtstagsfeier statt. Und tatsächlich wurden die 180 Jahre Fotografie interessant, amüsant und unerhört lebendig zelebriert, so, wie es sich für ein derartig junges Geburtstagskind geziemt.

Ausstellungsplakate gabs im Innenhof
Wie immer voll präsent: Das neue AUSLÖSER Magzin

Hausherr Peter Coeln zeigte zum Fest das passende Prunkstück seiner Sammlung – eine echte Susse Frères Daguerreotype-Kamera aus dem Jahr 1839, mit der er nach wie vor hervorragende Porträtfotos (zuletzt von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein) macht. Wie man daraus typisch „großbürgerlich-kultiviert‟ einen Skandal macht, erkläre ich weiter unten. Daran anschließend gab es eine Führung durch die Kamerasammlung des Westlichts mit besonderer Berücksichtigung des „Österreich-Aspekts‟.

Peter Coeln bei der Eröffnung …
… und bei der Führung durch die Sonderausstellung

Beeindruckend waren die Vitrinen mit Daguerrotypien aus den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts. Hier hatte ich das große Glück, von Marie Röbl, der Verantwortlichen für die historische Sammlung der Galerie Ostlicht, eine kleine „Privatvorlesung“ zu bekommen. Mitreißend in jeder Beziehung!

Kompetente Informationen gabe es von Marie Röbl
Szene aus einer Kanzlei, 40er Jahre des 19. Jahrhunderts

Heftig umlagert war der Bereich, in dem Markus Hofstätter mit einer über 100 Jahre alten Kamera und einem 150 Jahre alten Petzval-Objektiv ein Kollodium-Nassplatten-Shooting veranstaltete. Sogar eine Dunkelkammer war da – von Daguerre zum Sofortbild war‘s also nur ein kleiner Schritt. Natürlich wurde dabei berücksichtigt, dass die alten Techniken eine gefährliche Angelegenheit waren – so mancher der frühen Fotografen zog sich durch die hochgiftigen Chemikalien dauerhafte gesundheitliche Schäden zu; Markus Hofstätter achtete dementsprechend auf seine und die Sicherheit der Zuschauerinnen und Zuschauer.

Markus Hofstätter an der Arbeit
Wichtig: Ein möglichst unbewegtes Motiv
Mobile Dunkelkammer

Am Abend gab es dann eine mit Monika Faber und Simon Weber-Unger hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion über die frühen Jahre der Fotografie in Österreich.

Die Bundesinnung der Berufsfotografen stellte im Rahmen der Feier auch ihr neues Buch über die Geschichte der Fotografie in Österreich vor. Der aufwendig gestaltete Band hinterlässt bei mir einen eher zwiespältigen Eindruck – die Idee, die vorgestellten Fotografinnen und Fotografen chronologisch nach Geburtsjahr zu reihen finde ich spannend, dafür sind einige der Begleittexte weit unter dem Niveau üblicher Fotobücher. Schade, weil das doch ein bisschen den Wert des Buches mindert.

Ein Geburtstagsgeschenk der ganz anderen Art steuerte das Renommierblatt der österreichischen Bourgeoisie, „Die Presse‟ bei. Almuth Spiegler, Kulturredakteurin des Blattes , nutzte post festum die Ankündigung von Peter Coeln, dass endlich höhere Subventionen für das Westlicht in Sicht seien, zur Attacke auf einen nachgerade neoabsolutistischen Anschlag auf die geheiligte Kulturförderung in Österreich:

Wie man einen „Skandal“ herbeischreibt

„Wir sind bei Hofe, immer noch – der Monarch gibt. Der Günstling schenkt. Ein schmeichelhaftes Porträt. Ein bisschen Rückenstärkung. Zum Beispiel.
Kulturpolitik heißt das dann in Österreich –und findet in der Regel zumindest hinter verschlossenen Türen statt. Dieser Tage aber plötzlich im Blitzlicht: ‚Kanzlerin Bierlein rettet Fotogalerie Westlicht‘ jubeln Zeitungen, bebildert mit einem schmeichelhaften Porträt der Dame, aufgenommen vom Geretteten himself, Peter Coeln, mit der Susse Frères Daguerréotype von 1839. Wow. Coelns von der APA festgehaltene Wortmeldung in diesem Zusammenhang ist da fast herzerfrischend: Das sei für ihn eine ganz neue Erfahrung im Umgang mit der Politik‟.

Frau Spiegler, die ja nicht unbedingt ein Fan der Idee eines spezialisierten Fotomuseums, egal wo, in Österreich ist, unterstellt hier unverfroren, dass die Bundeskanzlerin als Gegenleistung für ein Porträtfoto (Materialwert: 30,– EUR) freihändig eine Zusage über eine Verdoppelung der Bundesunterstützung für die Fotogaleriem, also von zusätzlich 50.000,– EUR, gemacht habe.

Der politischen Verlotterung folgt die künstlerische auf dem Fuße. Weil es offenbar zur Blattlinie eines Presseorgans, das primär das Sprachrohr der Industriellenvereinigung ist, gehört, möglichst rasch wieder den Favoriten der Millionäre am Ballhausplatz an den Schalthebeln der Macht zu sehen, wird gleich einmal die schwere Anpatz-Artillerie in Stellung gebracht. Pardon – „anpatzen“ tun ja immer nur die anderen. Aber die Leserinnen und Leser meines Blogs werden mir das schon einmal durchgehen lassen, hoffe ich.

Aber zurück zum Kommentar in „Die Presse“. Blenden wir die Gehässigkeiten und Unterstellungen aus, sondern stellen wir uns die Frage: Warum fällt es dem österreichischen „Bildungs“bürgertum und seinen Pressemenschen so schwer, die Fotografie und den Film als legitime Künste zu sehen und auch so zu behandeln? Warum gibt es plötzlich einen Aufschrei von rechts, wenn möglicherweise (denn es gibt noch keine fixen Zusagen!) aus dem Gesamtkulturbudget des Bundes von 455,1 Millionen Euro insgesamt 100.000,– EUR zur Förderung einer außergewöhnlichen und ungewöhnlichen Sammlung historischer Kameras und anderer Objekte zur Geschichte der Fotografie gehen?

Wer unbedingt einen kleinkariert-nationalistischen Zugang braucht, um Förderungen zu rechtfertigen: Ja, „Österreicher“, also Bürger des Vielvölkerstaats, wie Petzval oder Voigtländer haben wesentliche Beiträge zur Fotogeschichte geleistet. Ist es vielleicht unangenehm, dass im 20. Jahrhundert zahlreiche große Fotografinnen und Fotografen wegen ihre jüdischen Herkunft vertrieben oder verfolgt wurden? Erklärt das diese miefige Zurückweisung der Fotografie als „illegitimer Kunst“?

Egal – mehr als 2.000 Personen zirkulierten am Nachmittag und Abend des 19. August 2019 durchs Westlicht. Ein schöner Beweis, wie wichtig der„Schauplatz der Fotografie“ ist.

Kurt Lhotzky

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