Buchumschläge der 1920er und 1930er Jahre: Visuelle Propaganda im politischen Kampf

Die 1920er und 1930er Jahre waren eine Zeit tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Umbrüche. In Österreich, wie in vielen anderen Ländern Europas, spiegelte sich diese Unruhe nicht nur in den politischen Debatten, sondern auch in der Kunst und Kultur wider. Besonders die Buchumschläge dieser Zeit wurden zu einem Medium, das weit über seine ursprüngliche Funktion hinausging. Sie waren nicht nur Schutz für das gedruckte Wort, sondern auch Werkzeuge der politischen Überzeugungsarbeit und visuelle Manifeste der jeweiligen Ideologien.

Eine bemerkenswerte Ausstellung im Photoinstitut Bonartes in Wien liefert nun den bisher umfangreichsten Überblick über Buchumschläge als „Plakate im Kleinformat“. Sie bildet eine Schnittstelle zwischen Fotografie- und Verlagsgeschichte, trägt wesentlich zum Verständnis bisher kaum oder gar nicht erforschter Aspekte der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung der Zwischenkriegszeit bei und sollte durchaus als Anregung für engagierte Verlage dienen, das eine oder andere vergessene Werk durch eine Neuauflage den heutogen Leser*innen zugänglich zu machen.

Zu der von Hanna Schneck, Arne Reimer und Monika Faber kuratierten Ausstellung ist ein editorisch und gestalterisch ebenso bemerkenswerter Katalog erschienen: „Buchumschlag!“. Als Schweizer Broschur kann der Katalog ohne störende Mittelbindung aufgeschlagen werden, was umso wichtiger ist, da einige Buchumschläge als Ausklapptafeln in ihrer Gesamtheit wiedergegeben werden. Und das zum sensationellen Preis von 28,– Euro.

Der Katalog zur Ausstellung hat alle Chancen, ein begehrtes Sammlerstück zu werden
Ein Beispiel für die aufwändige Gestaltung

Es wäre ungerecht, auch nur einen der Beiträge im Katalog gesondert vorzustellen. Der Bogen spannt sich jedenfalls vom Allgemeinen („Buchumschläge zwischen Verkaufsargument und politischem Manifest“) zu Themen wie den Buchumschlägen als Beispiele für den typographischen Wandel in den auch ästhetisch aufgeheizten 20er und 30er Jahren und Einzeldarstellungen ausgewählter Verlage der damaligen Zeit.

Wer diesen Blog kennt weiß, dass die Geschichte der [internationalen] Arbeiter*innenfotografie eines der wiederkehrenden Themen auf complexityinaframe ist. Die Ausstellung in der Seilerstätte schließt hier viele Lücken beziehungsweise gibt Hinweise, in welche Richtung weiter geforscht werden sollte.

Monika Faber

Aber nun doch ein paar Details zur Ausstellung für all jene, die nach der Einleitung immer noch nicht motiviert genug sind, bis 20. Juni 2025 zur Ausstellung im Photoinstitut Bonartes zu kommen.

Die Anfänge: Vom schlichten Einband zum politischen Plakat

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren Buchumschläge meist schlicht gehalten. Geprägte oder gedruckte Schriftzüge reichten aus, um Bücher identifizierbar zu machen. Doch mit der Verbilligung der Buchproduktion und der zunehmenden Alphabetisierung der Bevölkerung änderte sich das. Verlage erkannten das Potenzial illustrierter Umschläge, die wie kleine Plakate wirken konnten. Sie konkurrierten in den Schaufenstern der Buchhandlungen und sollten den Inhalt der Bücher auf einen Blick vermitteln.

Sozialdemokratie und die Macht der Bilder

Die sozialdemokratischen Verlage waren Vorreiter in der Nutzung von Buchumschlägen als politisches Medium. Verlage wie der E. Prager Verlag oder der Anzengruber-Verlag setzten auf sorgfältig gestaltete Cover, die sowohl theoretische Schriften als auch belletristische Werke ansprechend präsentierten. Fotomontagen, die aktuelle und historische Ereignisse wie den Justizpalastbrand von 1927 darstellten, wurden zu visuellen Argumenten im politischen Diskurs.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist der Umschlag zu Ernst Ottwalts antifaschistischer Schrift Deutschland erwache!. Die Fotografin Edith Suschitzky (später: Tudor-Hart) karikierte darin Adolf Hitler auf einem Podest als „Adolf der Große“ und als fiktiven Wilhelm III. in einer provokanten Montage, die sowohl Anhänger als auch Gegner der Sozialdemokratie aufrütteln sollte.

Das Cover zu Ottwalts Buch wird komplett im Katalog abgebildet

Durchaus wieder aktuell auch Johann Ferchs „Marsch auf Wien“, das 1930 ebenfalls im Anzengruber-Verlag erschien und einen markanten Untertitel trägt: „Seltsame Erlebnisse des bayerischen Dorfschullehrers Florian Tutzinger“. Im Nationalratswahlkampf 2024 wurde nicht nur von der FPÖ sondern auch von Teilen der ÖVP wieder an den anti-urbanen und anti-modernistischen Argumentationslinien der 2ßer Jahre angeknüpft – hie das gesunde, naturverbundene Land, dort das multikulturelle, kriminelle Wien.

Kommunistische Agitation: Kunst im Dienst der Revolution

Obwohl die Kommunistische Partei in Österreich politisch kaum Einfluss hatte, erschienen in den 1920er und 1930er Jahren überraschend viele Publikationen, die diesem Lager nahestanden. Verlage wie der Münster-Verlag oder der Agis-Verlag, betrieben von dem Journalistenpaar Hilde und Johannes Wertheim, veröffentlichten systemkritische Schriften und Belletristik.

Die Wertheims spielten eine zentrale Rolle im Verlagsnetz der Kommunistischen Internationale

Die Gestaltung dieser Bücher war oft revolutionär. Grafiker wie John Heartfield, der auch in Deutschland aktiv war, entwickelten neue Techniken, um Fotografie, Zeichnung und Schrift zu kombinieren. Sie erweiterten die Gestaltungsfläche von der Vorderseite auf die Rückseite und sogar die Klappen der Umschläge. Bücher wie Heinrich Wandts Erotik und Spionage in der Etappe Gent sorgten nicht nur inhaltlich, sondern auch durch ihre provokanten Cover für Aufsehen.

Konservative und faschistische Ästhetik: Tradition versus Moderne

Auch konservative und später faschistische Verlage erkannten die Macht der Bilder. Allerdings setzten sie stärker auf traditionelle Motive wie bäuerliche Bräuche, den Katholizismus und die heroische Darstellung des Landes. Bücher wie Hoch Österreich! propagierten patriotische Werte und sollten ein Gefühl der nationalen Einheit vermitteln.

Beispiele der austrofaschistischen Verlagsprodukte

Spannend der Hinweis, dass im Gegensatz zu den „linken“ Publikationen die Rechte und extreme Rechte weitgehend auf das Mittel der Collage und der Fotomontage verzichtete. Durchaus realistisch, dass die „Ordnungsideologie“ weit in die Ästhetik hineinwirkte und daher die „modernistische“ Aufmachung vermied.

Interessant ist, wie leicht die Grenze zwischen Austrofaschismus und Nationalsozialismus überschritten wurde. In ein und derselben Buchreihe konnten Titel wie Im heiligen Land Tirol und Oberdonau. Die Heimat des Führers nebeneinander erscheinen.

Buchumschläge als Zeitzeugen

Die Buchumschläge der Zwischenkriegszeit sind mehr als nur historische Artefakte. Sie sind Zeitzeugen einer Epoche, in der Kunst und Politik untrennbar miteinander verbunden waren. Sie zeigen, wie visuelle Gestaltung genutzt wurde, um politische Botschaften zu vermitteln, und wie Bücher zu Waffen im Kampf um die öffentliche Meinung wurden.

Die Ausstellung Buchumschlag! im Photoinstitut Bonartes bietet einen faszinierenden Einblick in diese Zeit und macht deutlich, wie kraftvoll und vielschichtig die Sprache der Bilder sein kann.

Kurt Lhotzky, 19.3.2025

Die Besichtigung der Ausstellung ist jederzeit nach Voranmeldung möglich.
Führungen nach Vereinbarung:


Photoinstitut Bonartes
Seilerstätte 22, 1010 Wien
Österreich
T. +43-(0)1/236 02 93-40
info@bonartes.org
www.bonartes.org

Vorträge/Dialogführungen im Rahmen der Ausstellung


Do, 27. März 2025, 18:00 Uhr
Marion Krammer (Fotohistorikerin) und Arne Reimer
Dialogführung

Di, 8. April 2025, 18:00 Uhr
Otto Hochreiter (Fotohistoriker) und Monika Faber
Dialogführung


Di, 29. April 2025, 18:00 Uhr
Alfred Pfoser (Historiker) und Monika Faber
Dialogführung


Do, 8. Mai 2025, 18:00 Uhr
Georg Spitaler (Politologe/Historiker)
Agitation im Archiv

Weitere Informationen zu den Vorträgen finden Sie auf der Website www.bonartes.org.
Voranmeldung: T. +43-(0)1/236 02 93-40 oder info@bonartes.org

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